Band 105 Dr. Karl Semper

 

 

Jürgen Ruszkowski

maritimbuch

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Dr. Karl Semper und seine Studien auf den Palau...

seit 28.03.2019

ISBN: 9783748524601

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Dr. Karl Gottfried Semper 

und seine Studien auf den Palau-Inseln im Stillen Ozean

als ebook in ePub-Format:

Dr. Karl Semper und seine Studien auf den Palau-Inseln im Sillen Ozean

ISBN 978-3-7485-8935-8

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-  Band 105e-2

Heimkehr des Dr. Karl Gottfried Semper von sein...

ISBN: 9783748533696

12,99 €

ebook:

Heimkehr des Dr. Karl Gottfried Semper von seinen ethnologischen Studien auf den Palau-Inseln im Stillen Ozean

ISBN 978-3-7485-9131-3

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Leseproben:

Dr. Karl Gottfried Semper

geboren am 6. Juli 1932 in Altona

verstorben am 29. Mai 1893 in Würzburg

Semper war Naturforscher, Zoologe, Ethnologe und Forschungsreisender. Er studierte an der Technischen Hochschule in Hannover, wo er 1852 Mitglied des Corps Visurgia wurde. Als Ethnograph bereiste er 1859 bis 1864 die Philippinen und die Palauinseln und kehrte im November 1865 über Hongkong, Saigon und Ceylon nach Europa zurück.

In Manila hatte er die aus Hamburg stammende Anna Hermann (* 28. Oktober 1826) kennen gelernt. Sie wird in den nachfolgenden Texten von ihm als Verlobte mehrfach erwähnt.

1866 habilitierte er an der Universität Würzburg in Zoologie und wurde dort 1868 Professor für Zoologie und vergleichende Anatomie.

Kapitän Woodin der Befehlshaber der „LADY LEIGH“ ein alter englischer Seemann von echtem Schrot und Korn empfing mich aufs freundlichste. Zwar bot er mir nicht an wie Cheyne es früher getan, dort neben ihm Handel treiben zu dürfen, ja er verweigerte sogar seine Einwilligung Äxte Beile und eiserne Kochschalen, die dort auf den Inseln beliebtesten Artikel zum Zweck des Eintauschens von Tieren mitnehmen zu dürfen. Aber gerade diese Offenheit und die humane Gesinnung, die aus seinem nicht sehr geistreichen Auge sprach, nahmen mich für den Mann ein. Unter seiner Leitung besorgte ich denn auch meine Ausrüstung, obgleich ich mir namentlich in Bezug auf Lebensmittel wie Schokolade Biscuit, Tee Plumpudding und konserviertes Fleisch einige Ausschreitungen erlaubte, und es kostete mir einen kleinen Kampf, seine Einwilligung zu meinem Plane zu erhalten außer einem nur für meine leiblichen Bedürfnisse sorgenden Diener Alejandro, noch einen jungen Mestizen D Enrique Gonzalez, seines Zeichens ein angehender Maler, mitzunehmen. Mit diesem letzteren wollte ich einmal den Versuch wagen, ob nicht ein in der zu Manila 1859 gegründeten und unter der Leitung des trefflichen spanischen Malers D Matias de Sainz stehenden Malerschule (Real Academia de pinturas) gebildeter Mestize der Leitung seines Lehrers entzogen und selbständig arbeitend Tüchtiges würde leisten können.

Durch seine Hilfe hoffte ich eine Fülle ethnologischer Studien und Porträts, ohne selbst viel Zeit an die Verfertigung von Skizzen verwenden zu müssen, sammeln, statt dessen aber meine Zeit zu Beobachtungen aller Art und zum Fangen von Tieren verwenden zu können. Während ich teilweise die Anschaffung der Lebensmittel und der benötigten Tauschartikel (Reis, Pulver und Flintenkugeln, weißer und roter Calico, Taschenmesser usw. dem Kapitän überließ, wendete ich die geringe mir noch zu Gebote stehende Zeit und körperliche Kraft dazu an, meine Gläser für die Reise einzupacken und alle nötigen Vorbereitungen zu zoologischen Arbeiten zu machen.

Abfahrt der „LADY LEIGH“

Endlich war alles bereit. Meiner Braut, die nun so nah vor der Trennung sich einer sorgenden Ängstlichkeit nicht ganz erwehren konnte, rief ich Trost noch die Scheideworte zu, „dass es ja nur eine Spazierfahrt zu nennen und etwa einer Reise von Deutschland nach Italien zu vergleichen sei“; und am letzten Tage des Jahres 1861 fuhr ich, eher heiter als trübe gestimmt um 5 Uhr abends an Bord der „LADY LEIGH“. Der kleine Schoner von 110 Tonnen Gehalt lichtete um 6 Uhr die Anker.

Aber schon die Neujahrsnacht brachte uns Unglück. Noch in der Bai von Manila in der Nähe des Leuchtturms der Insel Corregider mussten wir ankern – das Schiff machte Wasser – und erst am 2. Januar konnte das Leck gestopft werden, denn Kapitän Woodin war ein energischer Seemann, aber auch ein frommer Engländer, der am Neujahrstag nur das eindringende Wasser auspumpen ließ, sonst aber nicht arbeiten lassen wollte. Mittags den 2. Januar fuhren wir fort, und nun ging es lustig bei frischem Winde zum Hafen hinaus an Ambil vorbei in die Straße zwischen Mindoro und der Provinz Natangas hinein. Hier wechselten stürmische Winde und Windstillen. Mochte nun bei dem heftigen Herumwerfen des kleinen und alten Fahrzeuges das frühere Leck wieder aufgesprungen oder ein neues entstanden sein, genug, wir mussten während dieser Tage wieder ziemlich stark pumpen und schließlich im Hafen von Burias am 7 Januar einlaufen, um das Schiff womöglich gründlichen Reparatur zu unterwerfen.

Die Einfahrt in den kleinen, aber sehr geschützten Hafen von Bunas ist schmal und eng, durch die zahlreichen von Korallen bedeckten Untiefen in der Nähe der Ufer gefährlich und nur bei gutem Winde und am Tage zu passieren. Dadurch dass diese kanalartige Lücke zwischen der eigentlichen Insel Burias und der nach Westen liegenden Insel Busin sich in der Nähe der Hauptstadt des kleinen Distrikts bassinartig ausweitet, entsteht ein jeglichem Seegange fast gänzlich entzogener und auch gegen die Südweststürme wie gegen den heftigen Nordostmonsun geschützter Hafen. Doch wird er nur im Binnenverkehr von einiger Bedeutung sein können; denn er ist einesteils zu klein und der Eingang zu schwierig für große Schiffe, andererseits aber ist die Insel selbst von zu geringer Bedeutung und den Nachbarprovinzen gegenüber zu ungünstig gelegen, um jemals zu einem Ausfuhrhafen nach fremden Ländern werden zu können. Die Insel selbst, lang und schmal, hügelig aber sicher nicht im Mittel die Höhe von 800 bis 1000 Fuß übersteigend (nach Schätzung) ist zum größten Teil bedeckt von Wiesen, die hier und da von mächtigen Waldungen unterbrochen sind und zahlreichen Rinderherden Weide geben. Es ist die Zucht und die Ausfuhr der lebenden Kühe, hauptsächlich nach den nächstliegenden Provinzen, die einzige Beschäftigung der nur einige hundert Tribute (als Tribut bezeichnet man auf den Philippinen die Summe der Abgaben, welche zwei erwachsene Menschen zusammen zahlen; Kinder bis zu 10 Jahren und Greise über 60 Jahren sind gänzlich frei. Die Zahl der Tribute gibt daher weniger als die Hälfte der Einwohner an. Kurzweg bezeichnet man auch je zwei Menschen immer als einen Tribut; man fragt viele „tributantes“ im Dorfe seien, sondern nur wie viele „tributos“) zahlenden Einwohner. Ursprünglich waren es ausschließlich militärische Sträflinge, die hierher geschickt wurden: sie siedelten sich hier an, und so entstand allmählich das kleine Gemeinwesen, das von einem Kapitän der Armee als sogenanntem Kommandanten des Militärdistrikts geleitet wird.

Obgleich nun trotz des längeren Lebens auf der See mein Unwohlsein nicht ganz gehoben, meine Kräfte noch nicht völlig wiederhergestellt waren, so konnte ich doch der Versuchung nicht widerstehen, der in den Annalen der Conchologie (die Conchologie ist ein Teilgebiet Zoologie und befasst sich mit Schalenweichtieren – Muscheln) berühmt gewordenen Isla Temple einen Besuch abzustatten. Der Kommandant selbst ein Schalenliebhaber, wusste mir viel von dem Reichtum der kleinen Insel an Landschnecken zu erzählen; er besorgte mir ein Boot und Leute, und so fuhr ich denn von einem ebenfalls als Passagier auf der „LADY LEIGH“ befindlichen Schweden, Namens Johnson, begleitet, am 9. Januar morgens dahin ab. Dieser Schwede war ein alter Bekannter des Kapitäns. Als Mr. Woodin in früheren Jahren noch reich und Besitzer mehrerer großen Schiffe gewesen war, welche alle zwischen Hobarttown, China und den Inseln des Stillen Ozeans fuhren, war Johnson auf einem derselben als Kajütenjunge angestellt gewesen. Unglückliche Spekulationen zwangen Woodin eins oder zwei seiner Schiffe zu verkaufen, ein anderes wurde irgendwo in China kondemniert ( im Seewesen soviel wie ein seeuntüchtig gewordenes Schiff von der Seefahrt ausschließen), und das, worauf Johnson fuhr, scheiterte beim Einlaufen in einen Hafen der Palau-Inseln. Es ging ihm wie so manchem europäischen Matrosen.

Die Freundlichkeit der Eingeborenen gegen den kräftigen und jungen hübschen Menschen und die Achtung, in welcher unter jenen Wilden jeder noch so ungebildete Europäer steht, erleichterten ihm die Angewöhnung an ihr häusliches Leben, sodass er gern das gezwungene Exil zu einem freiwilligen machte, als vorbeifahrende Schiffe seinen Gefährten und auch ihm die Rückkehr ins europäische Leben ermöglichen wollten. Hier fand ihn dann – ich weiß nicht nach wie viel Jahren – sein alter Kapitän der nun verarmt wieder am Ende seiner Tage zum abenteuernden Leben des handeltreibenden Seefahrers seine Zuflucht nehmen musste; aber er fand ihn schon halb als Eingeborenen, kaum noch fähig, seine Muttersprache korrekt zu schreiben, schwach und krank, sodass er ihm aus Mitleid freie Passage nach Manila gewährte, um ihm durch bessere Nahrung und weniger ausschweifendes Leben wieder zu Kräften zu verhelfen. Sein Plan freilich, ihn seinem Vaterlande wieder zu gewinnen schlug fehl.

Mochte Johnson wirklich sein den Eingeborenen gegebenes Wort, wieder zurückzukehren heilig halten, wie er vorschützte; oder glaubte er, verleitet durch die Ehrfurcht, die er als Weißer genoss, „der Erste in dem kleinen Ländchen werden zu können“ genug er kehrte mit uns wieder nach den Palaus zurück. Mir war natürlich ein Europäer, der irre ich nicht, schon vier oder fünf Jahre mit den Bewohnern gelebt ihre Sprache erlernt und manche ihrer Gebräuche und Sitten mit offenem Auge, wie mir damals schien, beobachtet hatte, ein angenehmer und nützlicher Reisegefährte, ein angenehmer, denn die Hoffnung, wirklich gebildete Begleiter zu finden, hatte ich längst aufgegeben, und ein nützlicher, denn wäre er mehr das gewesen, was er zu sein schien, so hätte ich sicherlich nicht so sehr mit meinen eigenen Augen sehen gelernt, als ich es nachher tat.

Wir kamen auf der Insel Temple nach ruhiger und bequemer Fahrt an. Schon in ziemlicher Entfernung sahen wir am Meeresgrunde zahlreiche Korallen, in wunderbaren Gestalten und prangend im prächtigsten Farbenschmuck, regellos durcheinander wachsend dem langsam ansteigenden Meeresboden folgen, ohne ein eigentliches durch schäumende Wogen – die sogenannten Brecher – bezeichnetes Korallenriff zu bilden. Nur an einigen vorspringenden Punkten am Südende der Insel brachen sich die unbedeutenden Wellen, die der leichte und wechselnde Wind erhob. Aus dem so ganz allmählich vom Meeresgrunde emporwachsenden Korallenboden, der aber bis einige Fuß unter die tiefste Ebbelinie von größtenteils abgestorbenen Korallen gebildet ward, stieg die niedrige, ganz aus Korallenkalk und einem Conglomerat von Korallenfragmenten, Muscheln und Sand gebildete Insel in steilen Klippen empor. Nur an geschützten Stellen, Buchten und Einschnitten war das Gestein unter Korallensand begraben, während an den vorspringenden Punkten die Klippen einen durch die Brandung ziemlich tief ausgewaschenen Fuß zeigten. Nirgends war eine Spur eruptiven Gesteins zu bemerken. Überall mit ziemlich dichtem Wald bedeckt, unter dessen Bäumen vor allem die herrlichen Barringtonien (Palo Maria) und die unschönen aber charakteristischen Pandanusarten auffielen, stieg die Insel zu höchstens (schätzungsweise) 30 bis 40 Fuß über dem Meeresspiegel an. Das Wetter war köstlich während der zwei Tage, die ich dort zubrachte – im Sinne des Touristen; denn mir, der ich mit Schmetterlingsnetz und Schachteln ausgerüstet war, schien die Trockenheit, welche schon seit langer Zeit hier geherrscht haben musste, nach dem verstaubten und vertrockneten Aussehen der Blätter zu urteilen, ein ungünstiges Zeichen für die gehoffte Ernte. In der Tat fing ich denn auch fast gar keine Insekten, während ich doch im Jahre vorher zur selben Zeit in den ewig feuchten tiefen Schluchten der Gebirge in Central- Luzon viele der schönsten Schmetterlinge erbeutete. Dennoch aber füllten sich die Bambusrohre, welche mir auf meinen Reisen seit langem die Schachteln und Körbe ersetzten, rasch mit zahlreichen von den Baumblättern abgelesenen Landschnecken, welche in allen Altersstufen vertreten waren. Hier fand ich Eierhaufen in wie Düten zusammengedrehten Blättern; dort krochen die kleinen durchscheinenden Tierchen munter herum, während für die grün gebänderten oder roh und gelblich gesprenkelten halb oder ganz erwachsenen Tiere der Wonnemonat gekommen zu sein schien. Wie aber erstaunte ich erst, als ich am 11. Januar schon auf der Rückfahrt begriffen, auf einer kleinen zwischen Temple und Busin liegenden Insel landete. Hier waren fast buchstäblich die Bäume mit Schnecken bedeckt. In weniger als drei Stunden sammelten wir mehr als 1.200 Stück durch Schütteln der Bäume, wobei natürlich immer nur ein Teil der Tiere herab fiel aber die einzelnen Bäume zu ersteigen oder ihre Äste auch nur herabzubiegen, war eine zu große Mühe, da wir durch einige rasche Stöße an den Baumstamm mehr Exemplare auf den Boden brachten, als wir nachher wieder auflesen konnten. Auch unter diesen, die alle einer einzigen Art angehörten, fanden sich sämtliche Altersstadien vom Ei bis zum ausgewachsenen Tiere vor.

Ganz anders zeigte sich das Verhältnis in Bunas selbst, wo ich am 11. Januar abends wieder eintraf. Obgleich die nächste hügelige Umgebung des Hafens von Burias (Die genannten und noch einige andere in der Nähe liegende Inseln sind durchweg niedrig, die Hügel selbst aber dicht am Meere oft sehr schroff aufsteigend. Diese Felsen bestehen aus einem Conglomerat einer Unzahl von solchen Muschel und Korallenfragmenten, wie man sie jetzt noch am Ufer aller dortigen Koralleninseln findet. Die einzelnen Teile des Conglomerats werden durch einen stark kalkhaltigen Kitt zusammengehalten, und das Gestein häufig weiß, nimmt durch den Kitt oft, so namentlich bei der Stadt Burias und an der Nordseite der Insel – die deshalb auch Punta Colorada d. h. rote Spitze genannt wird – eine rotbraune oder selbst schwärzliche Färbung an. Bei Burias an der Sudostseite des Hafens steht ein brauner grobkörniger harter Sandstein an mit sehr zahlreichen Schalen von Ostreen und Pecten, sowie zahlreichen Fragmenten von Echinidenstacheln, aber fast ganz ohne alle Cephalophoren. Alle Inseln, namentlich die kleinern, tragen den deutlichsten Charakter allmählicher Auflösung; einzelne abgerissene Felsblöcke, die auf schmaler Basis stehen – Resultat der Ausfressung durch die Brandung – zeigen deutlich die Fortsetzung korrespondierender Schichten an den ihnen benachbarten Inseln. Die Schichten lagern fast ganz horizontal.) aus gehobenem Korallenkalk und Schichten desselben Kalkkonglomerats bestand, welches ich auch auf Temple beobachtet hatte, so fanden sich hier doch weder genau dieselben Arten, als dort noch auch die vorhandenen in so großer Individuenzahl. Dagegen flogen hier, wenn auch spärlich, doch mehrere Arten von Schmetterlingen, und auf den Büschen erhaschte ich manche Insekten, während ich von Temple deren fast gar keine mitbrachte. Da sich nun aber mein altes Übel durch einen leichten Anfall bei mir wieder in Erinnerung gebracht hatte, so folgte ich dem Rate des Kapitäns, unterließ die Landexcursionen und brachte die Tage, welche wir noch zur Reparatur des lecken Schiffs dort verweilen mussten mit gelegentlichen Untersuchungen von Meertieren und einem unter dem Tropenhimmel so glücklich machenden dolce far niente (süßes Nichtstun) zu.

Das Leck war, wie die fortgesetzte Arbeit des Kapitäns zeigte, gefährlicher gewesen als er gesagt und wir geglaubt hatten. So konnten wir erst am 21. Januar, nachdem wir also volle 14 Tage in Bunas zugebracht hatten, nachmittags 3 Uhr den Anker lichten. Ein frischer Nordostwind brachte uns rasch zur südlichen Öffnung des Kanals heraus, um die Südspitze der Insel herum, und in der Nacht des 24. Januar kamen wir bei leichten Winden in der Straße von S.-Bernardino bei der Insel gleichen Namens an. Die bis dahin vergleichsweise rasche Reise mit dem altersschwachen Schiff hatte mir hinreichende Beschäftigung und Abwechselung in der Betrachtung der zahllosen Inseln gebracht, sodass ich leicht den unbehaglichen Eindruck überwand, den mir das, wie mir schien, nach jener langen Reparatur in Burias allzu häufige Auspumpen des Grundwassers verursachte. Wer jemals in einem stark Wasser machenden alten Schiffe gereist ist, weiß was für verpestende Gerüche das Auspumpen eines solchen in den Kajüten verbreitet; und obgleich meine empfindliche Nase ein väterliches Erbteil, um welches mich meine Frau später noch oft unglücklich schalt, sehr darunter zu leiden hatte, so vergaß ich doch leicht alles unangenehmes Geräusch und Gerüche und den Gedanken, dass das Meer keine Balken hat, in der Hoffnung einer raschen Fahrt nach den Inseln des Stillen Ozeans. Abermals getäuschte Hoffnung! Kalmen, konträre Winde und heftige von Osten her zur Straße S.-Bernardino einsetzende und täglich etwa 18 Stunden lang anhaltende Strömungen bannten unser Schiff fast wie auf einen Fleck und gaben mir nun Gelegenheit, mich etwas mehr der Unterhaltung mit meinen Schiffsgenossen zu widmen, als ich es bisher getan.

Wie ich auf meiner Reise um das Cap aus Langeweile fast die ganze Reise verschlief, so fing ich nun an, aus dem gleichen Grunde mit dem alten Woodin, Johnson, seinem Steuermann Mr. Barber und einem kleinen Palau Insulaner, Namens Cordo, zu plaudern. Gern hätte ich neben der geistigen Nahrung auch noch etwas mehr leibliche erhalten, als ich wirklich bekam. Im Anfang der Reise zwar waren wir ziemlich reichlich bei Tische versehen, aber das dauerte nicht gar lange. Während wir früher mittags und abends jedes Mal wenigstens ein Huhn nebst eingemachtem Fleisch, Gemüse usw. erhalten, wurde bald nur noch ein warmes Mittagsmahl gemacht, zu welchem ein Huhn gewöhnlich die Suppe, Braten und den in indischen Gegenden so allgemein verbreiteten „curry“ für sieben Personen abgeben musste. Je länger aber die Reise dauerte, um so stärker wurde mein Rekonvaleszentenhunger, den ich nun in Ermangelung eines guten Mittagsmahls mit Schokolade, vielem Zwieback und einsam verzehrten in Blechdosen mitgenommenen geräucherten Zungen und Würsten zu stillen versuchte. Woodin war dabei immer sehr um meinen Appetit besorgt. Wie oft sagte er mir nicht, wenn nur noch ein Unterschenkel des Huhns im Reis versteckt lag: „Hier, Dr. Semper nehmt dies gute Stück vom Huhn – upon my soul (auf meine Seele), Ihr esst nicht wie Ihr tun solltet.“ Nun dachte ich bei mir, der Mann hat wohl eigentümliche Ansichten, wie man einen heißhungrigen, kaum vom Tode erstandenen Genesenden behandeln soll, vielleicht spart er mir alle die Leckerbissen, die er damals in Manila mitzunehmen versprach, für spätere Zeiten auf, wenn ich besser im Stande sein werde, als Gastronom mich an die Arbeit ihrer Vertilgung zu machen. Dennoch, ich leugne es nicht, sehnte ich mich mitunter nach diesen sicherlich im Raume versteckten Fleischtöpfen, von denen ich hin und wieder einen reizenden Vorgeschmack durch die Gunst des Steuermanns erhielt, den ich mir zum Freunde gemacht und der bisweilen einen derselben in das gewöhnliche Mittagsessen von Reis, Huhn, Erbsen und Speck einschmuggelte. Ich erinnerte eines Tages, gerade als mich mein Heißhunger plagte, Mr. Barber an Woodin’s Versprechungen. „Ja“, meinte dieser lachend, „die Liste hatte Woodin allerdings entworfen, es waren zwei Folioseiten voll trefflicher Gerichte, die von Ihrem teurem Passagegeld gekauft werden sollten. Der Kapitän hatte die beste Absicht mit Ihnen. Aber dann tat ihm wieder das viele Geld leid; und nun wurde Tag für Tag etwas von der Liste als überflüssig gestrichen, bis endlich fast keine Nummer auf dem Papier mehr stehen blieb. Ihr habt gut getan, Euch selbst zu verproviantieren.“

„Aha, nun verstehe ich, darum fordert er mich immer des Mittags auf, so ängstlich um meinen Appetit besorgt, auch noch die Knochenreste des Hühnchens zu verzehren; er fürchtet, ich könnte Sie veranlassen, zum Abend doch wieder eins dieser seltenen Gerichte zum Vorschein zu bringen! Nun, da werde ich mich wohl auf die Palau-Insulaner verlassen müssen, nicht wahr mein Cordo?“

Damit wandte ich mich, wie ich oft und gern zu tun pflegte, diesem kleinen muntern Burschen zu, der, um sich Manila anzusehen, als Passagier mitgegangen war und, voll von Bewunderung des europäischen Lebens und der Männer des Westens, der „lakad-ar-angabard“, der großen Städte und der zahllosen Schiffe, der Uniformen der Soldaten und der hoch auf getreppten Häuser, nun nach seiner Heimat zurückkehrte, brennend vor Sehnsucht. all das Gesehene seinen Freunden schildern zu können. Aufmerksam, sinnenden Auges hörte er zu, wenn ich ihm diese oder jene Frage beantwortete, oder ihm irgendeine gerade seinen Blick fesselnde Erscheinung zu erklären versuchte; aber lebhaft in seinen Worten und feurigen Blickes wurde er erst, wenn er mir nun von seiner Heimat erzählte, und wie sich seine Mutter, die Frau des Krei, und seine gleichaltrigen Freunde alle freuen würden, ihn wiederzusehen und von ihm zu hören, wie das Land des Westens, „angabard“, doch so gar wunderbar sei. In seinem gebrochenen Englisch teilte er mir manche Notiz über die Verhältnisse seines Heimatdorfes Aibukit mit, die mir erlaubten, nach meiner Ankunft mich rasch zu orientieren. Auch Johnson, der als Passagier an Bord nichts zu tun hatte, erzählte mir während unserer langweiligen Irrfahrten in der Straße S.-Bernardino und an der Nordküste von Samar gar manches über die Sitten der Eingeborenen, ihre Kriege, ihr staatliches Leben, ihre Sagen und religiösen Gebräuche. (Zur vorläufigen Orientierung mag hier kurz Folgendes bemerkt werden: Trotz der Kleinheit des Areals sind doch die Bewohner der Inseln in eine große Menge einzelner mehr oder minder selbständiger Staaten geschieden, und oft bestehen diese, wie z. B. der Staat Coröre, nur aus einer einzigen kleinen Insel, mit zwei oder drei Dörfern, denen dann häufig eine ganze Menge anderer oft größerer Staaten verbündet sind. Doch stehen auch diese immer in einem gewissen Vasallenverhältnis, das sich freilich nicht kurz in einer für uns recht verständlichen Weise bezeichnen lässt. Ohne dass solche Vasallenstaaten gerade einen Tribut zu zahlen brauchen, sind sie doch in gewisser, später zu erörternder Weise an das leitende Reich gebunden, d. h. sie müssen sich manche Eingriffe in ihr soziales Leben gefallen lassen, die sie unter andern Umständen zurückweisen würden. Es hängt dies damit zusammen, dass bei der Kleinheit der Reiche alle persönlichen Beziehungen höhern Wert erhalten als in größern; und es wird dadurch noch gesteigert, dass auch die geselligen Bande so mit der halb monarchischen, halb oligokratisch-republikanischen Staatsform verquickt sind, dass die Lösung der ersteren auch die politischen Beziehungen der Staaten zueinander lockern muss.

Auf der dem Originalbuch beigefügten Karte sind die hauptsächlichsten Staaten verzeichnet. Die politische Gruppierung war, als ich dort ankam, folgende. Infolge der Unterstützung von feiten Wilson’s und seiner Engländer am Ende des vorigen Jahrhunderts hatte Coröre, im Zentrum der Inselgruppe gelegen, unerwartetes Ansehen und Macht gewonnen, sodass sich Eirei, Armlimui und einige andere Staaten im südlichen Teil von Babelthaub wegen ihrer großen Nähe zu jener Insel, ferner Aracalong an der Nordspitze von Babelthaub aus persönlichen Rücksichten der dort herrschenden Familie, dem Ebadul, (d. h. dem König) von Coröre, als Verbündete angeschlossen hatten. Früher waren auch noch die Mittelstaaten von Babelthaub in diesem Bunde gewesen, mit einziger Ausnahme von Athernal an der Ostküste, welches sich zu Wilson's Zeit nach drei verlorenen Schlachten zur Tributzahlung genötigt sah, doch nie in die Stellung eines Vasallen von Coröre gebracht werden konnte. Die Eroberung und vollständige Zerstörung des Ortes Kaslan an der Westküste von Babelthaub, dicht bei Aibukit, im Anfang dieses Jahrhunderts, scheint der Grund gewesen zu sein, weshalb sich nun Aibukit auf die Seite Athernals stellte, und mit ihm wurden zu Verbündeten des letztern eine Reihe kleiner Staaten dicht bei Aibukit (Roll, Rallap, Aural usw.), welche von jeher wirklich in einem Vasallenverhältnis zu diesem standen. Es war also die nördlichste Spitze und die südliche Hälfte von Babelthaub, der größten Insel der Gruppe, verbündet mit Coröre; ihnen gegenüber standen, geographisch abgeschlossen aber isoliert, die Mittelstaaten von Babelthaub. Kreiangel im höchsten Norden, ein durch einen breiten Kanal getrennter Atoll, und Peleliu wie Ngaur ganz im Süden spielten die Neutralen; sie standen in einer gewissen Abhängigkeit durch die Furcht vor Coröre, ohne dass sie jedoch an ihren Kriegen theilnahmen oder selbst den dort üblichen Tribut an lebenden Tauben entrichteten. Dass trotzdem das Wort Ebadul's von Coröre ein großes Gewicht hatte, sollte ich bald zu eigenem Nachtheil erfahren.)

Abermals zwang uns hier ein neues, wie es schien sich immer vergrößerndes Leck, am 29. Januar in den Hafen von Palapa einzulaufen. An der Nordostspitze von Samar, die ziemlich weit ins Meer vorspringt, zieht sich Batag, eine niedrige und von einem weit abstehenden Riffe umsäumte Insel, hoch nach Norden hinauf und begrenzt gegen Süden einen nach Westen wie Osten geöffneten ziemlich breiten aber, wegen zahlreicher Korallenbänke gefährlichen und stark gewundenen Kanal. Wir ankerten südlich von Batag, einem kleinen Dorfe auf der Insel gleiches Namens, aber da bis hier herein der Seegang seinen Einfluss geltend machte, und der Kapitän infolge davon nicht bis zu den ziemlich tief liegenden Lecken gelangen konnte, so beschloss er, in den innern eigentlichen Hafen von Pampan zu gehen, wo günstige Verhältnisse zur Reparatur des Schiffs obzuwalten schienen. Bei einem ersten Versuch am 1. Februar, durch den engen gewundenen Kanal zu gelangen, stieß das Schiff auf einen Korallenblock, kam jedoch bald wieder los; aber erst am 3. Februar gelang es uns, den ganz gegen allen Seegang geschützten Hafen zu erreichen. Hier wurde das Schiff teilweise gelöscht und dann auf die Seite gelegt, sodass bei niedrigem Wasser der Kiel hervortrat; denn die Lecke schienen alle in der Nähe desselben zu sein, sodass eine solche für die Passagiere natürlich sehr unbequeme Prozedur absolut nötig war zur Ausbesserung des Schiffs. Ich packte deshalb mein Handwerkszeug zusammen und bezog ein kleines Häuschen im Dorfe Pampan, das ich mir für die Dauer unsers Aufenthalts gemietet hatte. Mein Diener Alejandro führte hier nach gewohnter Reisesitte unsern Haushalt, während ich selbst mich teils mit Exkursionen, teils mit zoologischen Untersuchungen vergnügte und Gonzalez dazu anhielt, möglichst viel Aquarellskizzen zu machen.

Überall zeigten die nur zu niedrigen Hügeln ansteigenden Inseln die deutlichsten Spuren ganz junger Hebung. Schon am 29. Januar besuchte ich eine im nördlichen Kanal liegende kleine kaum 4 Fuß über Flutlinie hohe Koralleninsel, auf deren Mitte große Korallenblöcke lagen, die nur durch Hebung, sicherlich nicht durch die hier sehr schwache Brandung hingelangt sein konnten. Auch die im Mittel etwa 50 bis 70 Fuß hohen Vorhügel der Insel Batag bestanden gänzlich aus teilweise verändertem Korallenkalk, welcher nur von einer sehr wechselnden Humusschicht oder direkt von Korallendetritus bedeckt war. Dagegen war die Batag gegenüberliegende den Südrand des Kanals bildende Insel Laguan die ich zu verschiedenen malen besuchte, aus einem horizontale Schichten aufweisenden kalkigen feinkörnigen Sandstein gebildet, in welchem Pteropodenschalen fast die einzigen Petrefacten zu sein schienen. Die mikroskopische Untersuchung ließ aber außerdem zahlreiche Foraminiferen erkennen. Von dem ziemlich steil abfallenden Ufer stürzte ein dünner Bach herab, welcher uns das zur Weiterreise benötigte gute Wasser lieferte, und in seiner Nähe hing hart am Meere ein großer abgestorbener Baum über, der mit seinen Wurzeln noch in der Erde befestigt, mit den herabhängenden Zweigen nur eben noch die höchste Flutlinie berührte. Dennoch war der Baum in etwa 2 Fuß Länge ganz von leeren Gängen eines Schiffsbohrers (Teredo) durchlöchert, sodass eine Erhebung von mindestens 4 Fuß stattgefunden haben musste während der Zeit, welche seit seiner Senkung ins Meer verflossen sein mochte. Die kleine, im innern Hafen liegende Insel Busin, südlich von Laguan, von ihr nur durch einen schmalen Kanal getrennt, war hügelig, und die etwa 150 bis 200 Fuß hohen dicht bewaldeten Hügel bestanden aus stark tonhaltigem, bald gelblichem, bald blaugrauem Sandstein, den ich wegen seines großen Reichtums an Foraminiferen als „Foraminiferensandstein von Pampan“ bezeichnen will. Es war derselbe Ton, der auch Laguan bildete; und ebenso bestanden die niedrigen Hügel der Insel, auf welcher Pampan liegt, aus dem gleichen Tonsandstein. Endlich fand ich dann am nordwestlichen Ufer der Insel Pampan ein weitgehendes abgestorbenes Korallenriff, auf dessen Fläche große Blöcke fast gänzlich metamorphosierten Korallenkalks lagen, die sich bei niedrigster Ebbe etwa 4½ bis 5 Fuß über Wasser erhoben. So fanden sich überall die mannigfaltigsten und sichersten Anzeichen, dass noch in der allerjüngsten Zeit eine Hebung erfolgt sein musste. Sie war vielleicht der Grund eines Unfalls, der uns nachher beim Auslaufen betraf, und ihr dankten wir es auch wohl, dass wir beim Einlaufen am 1. Februar auf einer Stelle einen Korallenblock berührt hatten, der nach den neuesten spanischen Karten 3 bis 4 Faden unter höchster Flutlinie liegen sollte, nach dem Tiefgange unsers Schiffs jetzt aber nur 2 Faden Wasser über sich haben konnte. Bei dem fortgesetzt stürmischen Wetter der letzten Wochen konnten die Arbeiten am Schiff nicht so rasch beendigt werden, als unsere Ungeduld, endlich in den Stillen Ocean zu gelangen, uns alle wünschen ließ. Bei dem Umlegen des Schiffs hatten wir eine hohe Springflut gehabt, sodass nun als die niedrigen Fluten kamen, nie genug Wasser war zum Flottmachen des aufliegenden Schiffs, und erst am 13. Februar kam es mit vieler Mühe und nach mehreren vergeblichen Versuchen wirklich vom Boden ab. Nun waren aber unter der Wasserlinie noch einige Löcher zu stopfen, dann noch die teilweise gelöschte Ladung wieder einzunehmen, sodass abermals drei Tage verflossen, ehe wir versuchen konnten, wieder unter Segel zu gehen. Der stürmische, von häufigen Regenschauern begleitete Nordost- Monsun hatte nun schon mit seiner ganzen Wucht eingesetzt und vereitelte mit den heftigen und sehr unregelmäßigen, gerade in der Richtung des Kanals herein stehenden Winden erst am 21. Februar, dann wieder am nächsten Tage unsern Versuch, bei Eintritt der Ebbe aus dem Hafen herauszukreuzen. Auch am 23. schlug ein Versuch fehl. Endlich am 24 gelangten wir in den äußeren Kanal. Aus Verdruss über die viele verlorene Zeit und im Vertrauen auf die Richtigkeit eines der Karte von Morata Coello beigegebenen Spezialplanes des Hafens von Palapa, versuchte der Kapitän durch die östliche Mündung desselben direkt in den Stillen Ocean zu gelangen, um so den beim Auslaufen aus der westlichen Mündung durch die weit nach Norden hin vorspringende Insel Batag verursachten Umweg abzuschneiden. Dieser Versuch, an und für sich nicht tollkühner als der früher gewagte, überhaupt in den Hafen einzulaufen, sollte uns teuer zu stehen kommen. Der Wind war günstig zum Auslaufen, der Weg den wir beständig sondierend verfolgten, schien klar, aber plötzlich schrabten wir an einem Korallenfelsen, den wir des trüben Wassers wegen nicht hatten sehen können, an, und im Moment nachher saßen wir auf einem andern fest. Der arme Woodin tat mir in der Seele leid, wie er nun, um seine letzte aufs Spiel gesetzte Karte, die „LADY LEIGH“ zu retten, die Befehle zum Backen der Segel und zu andern Manövern gab, die geeignet waren, das Schiff flott zu machen. In seine den Matrosen zugerufenen Befehle mischten sich Wehklagen um sein Weib und seine Kinder, die er in Hobarttown in Armuth zurückgelassen und die aus solcher zu erretten ihm die früher so gewogene Glücksgöttin versagen zu wollen schien. Aber keins half.

Das Wasser war noch im Fallen, und das Schiff bewegte sich nicht von der Stelle. Zum Glück war es nahe an tiefster Ebbe gewesen, als wir auf den Felsen aufliefen, sodass keine Gefahr des Umschlagens zu besorgen war. Nach einigen ängstlichen Stunden endlich hob uns die rückkehrende Flut wieder von unserm Ankergrunde ab.

Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, sodass wir in der Nähe dieses unglückseligen Korallenblocks ankern mussten. Nun hatte Woodin alle Lust verloren, nochmals eine Ausfahrt zum östlichen Kanal zu versuchen, und da auch am 25. morgens ein schöner Ostwind wehte, so fuhren wir diesmal ohne weitern Unfall zum westlichen Kanal hinaus. Freilich brauchten wir jetzt drei volle Tage, um die Nordspitze der Insel Batag, ankämpfend gegen Wind und Wogen, zu gewinnen, und auch am 1. März verloren wir gegen östliche und südöstliche Winde kreuzend, nur sehr langsam die Ostküste Samars aus dem Auge. Eine heftige etwa 1½ bis 2 Knoten stündlich laufende südöstliche Strömung setzte uns immer wieder zurück, sodass der Kapitän, um recht rasch aus dieser widrigen Gegend herauszukommen, möglichst nach Süden zu gelangen trachtete.

Mochte nun der Landaufenthalt und die schon so lange anhaltende kärgliche Nahrung, verbunden mit dem ewigen schlechten Wetter und dem heftigen Schreck am 25. Februar, mir geschadet haben; genug, bis zum 1. März fühlte ich mich so elend, dass ich selbst die wenigen günstigen Stunden, die mir hin und wieder der etwas leichtere Wind gönnte, nicht zum Fischen mit dem feinen Netz zu benutzen vermochte. Als wir aber am 1. und 2. März in jenen südöstlichen Strom hinein gerieten und einige Thermometermessungen mir die hohe Meereswärme von 22° R. am ersten Tage, später sogar von 23° R. ergaben, nahm ich voller Erwartung mein Netz zur Hand. Denn ich dachte mich wieder in eine ähnliche warme Strömung versetzt, wie sie am Cap der guten Hoffnung als letztes Ende des Mozambiquestromes bis auf 42° und 44° südlicher Breite heruntergeht, und welche mir auf meiner Reise nach Singapore eine Überfülle der schönsten pelagischen Seetiere ins Netz lieferte. Drei Tage lang fuhren wir damals in einem so dichten Schwarme der kolossalen Feuerzapfen (Pyrosoma giganteum) dass selbst beim Wasserschöpfen mit Eimern häufig die fast einen Fuß langen Tiere gefangen wurden, und des Nachts leuchteten alle diese Myriaden von Wesen die den Ozean bis zum Horizont zu bedecken schienen, in so zauberhaftem Lichte, dass ich mit einziger Ausnahme einer wunderbaren Oktobersturmnacht nördlich von Helgoland nie etwas Ähnliches gesehen zu haben glaubte. Leider wurde meine Erwartung gänzlich getäuscht. Trotz der tiefblauen reinen Farbe des Meeres fing ich auf der Oberfläche nichts als eine geringe Zahl gallertiger Haufen von einzelligen Algen, wie sie mir so oft schon in den Tropen das Fischen mit dem feinen Netz verleidet hatten; und auch das bei Windstillen bis zu 60 bis 80 Fuß Tiefe niedergelassene und durch die starken, auch hier wirkenden Strömungen in senkrechter Stellung erhaltene Netz brachte mir keine Ausbeute. Allmählich waren wir aus den südöstlichen Strömen in nordöstliche geraten, die uns nun rasch weiter nach Süden brachten, bis wir endlich am 9. März in 7° 39’ nördlicher Breite und 129° östlicher Länge auf starke und sehr warme westliche Strömungen trafen, die uns nach den Berechnungen des Schiffsjournals um durchschnittlich 50 bis 55 Seemeilen per Tag weiter nach Osten brachten. So waren wir allmählich aus dem nach Norden an der Ostküste Luzons umbiegenden obern Arme des nordpazifischen Äquatorialstromes in die gerade Fortsetzung desselben, dann in den südlichen nach Süden zu an Samar und Mindanao hinstreichenden Arm desselben Stromes geraten, der sich zwischen 6° und 7° nördlicher Breite mit jenem von Westen her aus der heißen Celebes-See entspringenden äquatorialen Gegenstrom verbindet, welcher, wenn anders die von Quatrefages aufgestellten Theorien über die verschiedenen Wanderungen der polynesischen Völker richtig sind, in der östlichen Hemisphäre eine ebenso bedeutungsvolle Rolle gespielt hat wie der Golfstrom, freilich in anderer Beziehung, auf der westlichen Erdhälfte. Es ist bekannt, dass die Bewohner der Karolinen nicht selten nach den Philippinen verschlagen werden; sie erreichen dann jedes Mal die Insel Samar oder den südlichsten Teil von Luzon, zum Beweise, dass gerade hier sich der nordäquatoriale Strom an der philippinischen Inselmauer bricht. Dagegen scheinen niemals Bewohner der Philippinen nach den Palau Inseln gekommen zu sein, wohl aber solche von Celebes und den in der Celebesstraße liegenden Inseln. So war nach Johnson's Aussage im Jahre 1859 oder 1860 ein Boot ohne Segel an der Nordwestseite der Inselgruppe bei dem Dorfe Aibukit angetrieben, dessen Passagiere sechs an der Zahl in drei Tagen von der Insel Salibago dahingelangt zu sein behaupteten. Den einen überlebenden Mann sah ich später noch, sodass ich mich von der Wahrscheinlichkeit seiner Behauptung von der genannten Insel gekommen zu sein, überzeugen konnte. Auch als der bekannte Kapitän Wilson – dessen Erzählung vom Schiffbruch der „ANTILOPE“ und dem liebenswürdigen Völkchen der Palau-Inseln überall sympathisches Interesse erweckte – mit den Bewohnern dieser Inseln in Verkehr trat, fand er einen ebenfalls von einer Celebes benachbarten Insel stammenden Malaien, der wie jene Leute aus Salibago durch die westliche Strömung dorthin getrieben worden war.

Unsere Freude, endlich in einem gut ausgebesserten, wasserdichten Schiffe zu fahren, sollte leider nur die beiden ersten Tage anhalten. Solange wir nur leichtere Winde hatten und der Meergang nicht stark war, musste die Pumpe nicht öfter in Bewegung gesetzt werden, als es überhaupt an Bord eines Schiffs geschieht. Aber als nun im Streit der starken Meeresströmungen und der häufig diesen entgegenwehenden, bis zum Sturm sich steigernden Winde die See sich in hohen und unregelmäßigen Wellen erhob, da fing unser in allen Fugen ächzendes und grausam herumgeworfenes Schiffchen wieder an, sehr viel Wasser zu machen, und da, je tiefer wir nach Süden kamen, der Sturm wuchs und das Meer aufgeregter wurde, so nahm das Pumpen in ganz unliebsamer Weise zu.

Zuerst wurde bei Tage häufiger gepumpt, dann auch in der Nacht, und als endlich an einem ruhigen Tage, welcher unsern Schoner von den gehabten Strapazen etwas ausruhen ließ, doch das in den Schiffsraum eindringende Wasser nicht abnahm, eher wuchs – da wurde uns allen klar, dass dennoch jener Ritt auf dem Korallenblock im Hafen von Palapa dem Boden des Schiffs eine unheildrohende Wunde geschlagen haben musste. Vom 5. oder 6. März an blieb nun die Pumpe Tag und Nacht in unausgesetzter Bewegung; denn bei dem bald wieder eintretenden und uns lange Zeit unausgesetzt begleitenden Sturme drang schließlich so viel Wasser ein, dass wir alle, auch der Kapitän und die Passagiere, mit Hand an das Werk legen mussten, da wir uns nur mit der angestrengtesten Tätigkeit flott erhalten konnten. Endlich hatten wir, dank dem westlichen Sturme, trotz der entgegenwehenden Winde auf etwa 4° nördlicher Breite die Länge von 135° östlich erreicht, sodass wir jetzt am Winde segelnd nach Norden umkehren und die zwischen 6° und 8° nördlicher Breite liegende Inselgruppe der Palaus aufsuchen konnten.

Am 22. März morgens 2 Uhr sahen wir im herrlichsten tropischen Mondenscheine die südlichste Insel der Gruppe Ngaur (Angaur), welche durch einen etwa drei Meilen breiten und sehr tiefen Kanal von der Insel Peleliu getrennt liegt. Bei Tagesanbruch fuhren wir von Osten her durch ihn hindurch, da der von uns aufzusuchende Hafen – Aibukit – an der Nordwestseite der Insel lag. Mit steilen Klippen, an deren Fuß sich direkt das Meer mit seinen Wogen brach, stieg die Insel Ngaur zu nicht sehr großer Höhe aus dem Meere senkrecht empor, im grünen Schmucke des tropischen Waldes, zwischen welchem kahle Felsen von blendender Weiße dem Auge auffielen. Es waren wohl ähnliche Kalkfelsen, teilweise verkreidet, wie sie auch die in einzelnen schroffen und zackigen Gipfeln zu größerer Höhe aufsteigende Insel Peleliu und die ihr benachbarten kleinern Inseln zeigten. Auch diese waren zum größten Teil bewaldet, und am Ufer, dem wir uns näherten, zeigte sich ein Saum sehr hoher und schmächtiger Kokospalmen, wie ich sie so noch nie zuvor gesehen hatte. Es sollen – wie verschiedentlich zu lesen steht – diese hohen mastbaumähnlichen Palmen gewesen sein, nach welchen die Spanier, als sie im 17. Jahrhundert die Inselgruppe entdeckten, ihr den Namen der „Islas Palos“ gegeben haben, nach den dem Mastbaum (palos) ähnlichen Palmbäumen. Absichtlich hatten wir uns der bewohnten Insel Peleliu genähert, weil alle an Bord den Wunsch hatten, Nachrichten über die jüngsten Ereignisse im Lande zu erhalten, und wir durch unsere Annäherung einige Bewohner von Peleliu heranzulocken dachten. Unsere Hoffnung wurde nicht getäuscht. Das war ein wildes Durcheinander der Stimmen, als endlich die kraushaarigen, dunkelkupferbraunen Leute in unsere Nähe kamen; sie mussten uns offenbar erkannt haben, denn „Piter“, „Cabel Mul“, „Cordo“ und „Baber“ schrien sie zu uns herüber, je nachdem sie Johnson, oder den Kapitän, den kleinen Cordo oder den Steuermann am Schiffsbord erblickten. Sie waren offenbar sehr aufgeregt. Schon aus großer Entfernung schrien sie uns allerlei zu, einzelne Worte, wie Feuer, Krieg, Engländer, konnte Johnson unterscheiden; als sie am Schiffe anlegten, hatten sie alle eine solche Eile, zu uns zu gelangen, uns zu begrüßen und zu erzählen, dass einer derselben, der sich an einem losen Taue hinauf schwingen wollte. direkt ins Meer fiel. Triefend vom unfreiwilligen Bade kam er an Bord und erzählte nun seinerseits Piter (Johnson) in großer Hast und Wortfülle die traurige Geschichte, welche während der Abwesenheit des Kapitäns Woodin dort vorgefallen war und welche den armen Greis mit einem traurigen Vorgefühl aller der Schläge erfüllte, die ihn noch am Abend seines Lebens treffen sollten. Sie teilten uns mit dass vor wenigen Wochen ein englisches Kriegsschiff im Hafen von Coröre, der durch Wilson als „Korror“ so berühmt gewordenen Insel eingelaufen sei, dass der Kapitän desselben die Eingeborenen von dort auf einem Kriegszuge gegen Aibukit begleitet und unterstützt habe und dass ein großer Teil der dem letztern Orte angehörigen Fahrzeuge ihr Dorf und ein dem Kapitän Woodin zugehöriges am Ufer des Meeres dicht bei Aibukit stehendes Haus mit dem darin aufgespeicherten Trepang verbrannt worden seien.

Schon früher hatte ich den Äußerungen des Kapitäns und Johnson's entnommen, dass seit einigen Jahren die nationalen Kriege in frischer Kraft entbrannt waren infolge der Ankunft Woodin's und des oben schon genannten Cheyne. Beide hatten sich 1860 zuerst im Hafen von Coröre zusammen aufgehalten, eine Zeit lang auch gemeinschaftlich Geschäfte gemacht, die sie teils dort im Hafen selbst, teils durch kleine nach Nord und Süd ausgedehnte Bootexkursionen führten. Der alte Woodin, ehrlich und gutmütig aber nicht „klug wie die Schlangen“ hatte Cheyne ein zu großes Vertrauen geschenkt, welches dieser schmählich missbrauchte. Im März oder April 1860 waren beide, nachdem sie sich dort zufällig im Hafen von Coröre – Malakka – getroffen hatten, mündlich übereingekommen, gemeinschaftliche Geschäfte mit gleichem Risiko zu machen, in der Weise, dass Cheyne für seine Tauschwaren nur Trepang, Woodin dagegen ausschließlich Öl und Schildpatt einhandeln sollte. In dieser Zeit hatte Woodin schon 70 Pikul Trepang an Bord, die er Cheyne übergab, wie er denn von jenem Tage an auch alle Eingeborenen, die Trepang verkaufen wollten, zurückwies und ihm, dem Kapitän des Dreimasters „BLACK RIVER PACKET“ zuschickte. Am 31. Mai schrieb dieser an Woodin, dass er infolge des schlechten Zustandes seines Schiffs sich genötigt sehen würde, spätestens bis zum 15. August die Inseln zu verlassen, dass er aber so lange, bis Woodin von der beabsichtigten Reise nach Manila zurückgekehrt sei, auf eigene Kosten und Risiko Handel treiben, dann aber nach Shanghai abreisen und dort die gewonnene Ladung und das Schiff verkaufen wolle, um ihm Woodin das Feld – dort auf den Palaus – freizulassen. Aber schon am 7. Juni schrieb er meinem Freunde, der gerade im Begriff stand, nach Manila abzusegeln, abermals, indem er einen Kontrakt vorlegte, der, wenn er angenommen worden wäre, diesem den empfindlichsten Schaden hätte zufügen müssen. Es hätte sich dann Woodin verpflichtet gesehen, 1. allen von Kapitän Cheyne bis dahin gesammelten Trepang frei von Fracht nach Manila zu bringen und dort Cheyne's Agenten zu übergeben; 2. die erheblich höhern Unterhaltungskosten der „BLACK RIVER PACKET“ zur Hälfte vom Tage seiner Abreise an gerechnet, zu tragen, während Cheyne die Hälfte der Unterhaltungskosten der „LADY LEIGH“, die beträchtlich geringer waren, erst von jenem Tage an zu übernehmen hätte, an welchem Woodin wieder den Handel beginnen würde; 3. die Palau-Inseln ganz zu verlassen, da sich Cheyne das Recht des Handels dort reservierte. Abgesehen von den Nachteilen, welchen sich Woodin schon durch die ersten beiden Punkte ausgesetzt gesehen hätte, so wäre die letzte Bestimmung für ihn geradezu verderblich geworden. Cheyne wäre dann im ausschließlichen Besitz der auf den Karolinen für den Trepanghandel am günstigsten gelegenen Palau-Inselgruppe geblieben, während Woodin die sowohl für diesen Handel weniger produktiven als nautisch unbekannteren übrigen Inseln der Karolinen und einen Verkehr mit den viel kühneren und roheren Bewohnern derselben zu suchen gehabt hätte. Im Fall eines Unglücks hätte dann Cheyne die Palau-Inseln für sich allein ausbeuten können, denn er wusste sehr wohl, dass Woodin's letzter und dazu noch ganz verschuldeter Besitz jener kleine Schoner war, dass sein Rivale sich also ganz außer Stande sehen würde, ein neues Schiff zu kaufen und seine Handelsreisen wieder aufzunehmen. Dies war denn auch in der Tat das Ende von Woodin's Laufbahn. Aber selbst im allergünstigsten Falle lag für Woodin eine direkte Benachtheiligung in diesem Vorschlage, welchen er denn auch ohne weiteres abzulehnen beschloss. Aus Gefälligkeit nahm er noch eine kleine Quantität Trepang mit nach Manila, von wo er Mitte September desselben Jahres nach den Inseln zurückkehrte. Zwar lief er abermals im Hafen von Coröre ein, aber nur, um bald nach dem weiter nördlich gelegenen Ort Aibukit abzusegeln, dessen Bewohner schon früher mit ihm gehandelt hatten und die er nun, frei von den Schikanen Cheyne's und der Fürsten von Coröre, in ihrem eigenen Lande zu besuchen beschloss.

Dies war den Bewohnern von Coröre sowohl wie seinem Rivalen ein unangenehmer Entschluss. Jene fürchteten, dass sie, gering an Zahl, nur im Besitz einer kleinen Insel, die hauptsächlich seit Wilson's Zeiten und teilweise durch dessen tätige Hilfe gewonnene Übermacht über die übrigen Staaten der Inselgruppe einbüßen würden, wenn nun durch Woodin ein direkter Handel mit den nördlichen Staaten eröffnet würde, die bisher von ihnen durch größeren Reichtum und durch die bedeutendere Zahl von Feuerwaffen in einer gewissen Botmäßigkeit erhalten worden waren. Cheyne aber besorgte seinen Lieblingsplan, dessen Verwirklichung er in der Tat später nahe genug kam, scheitern zu sehen, wenn es Woodin wirklich gelänge, festen Fuß im Norden zu fassen. Die spätere Entwickelung der Vorgänge zeigte nämlich deutlich, dass er zunächst den Handel dort in übermütigster Weise zu monopolisieren, dann aber auch sich den Dank seines Vaterlandes dadurch zu erwerben gedachte, dass er ein im Laufe der Jahre dort gewonnenes Anrecht auf eine Insel oder die ganze Inselgruppe der englischen Nation zu vermachen beschloss. Bei den Eingeborenen von Coröre war jedenfalls die Eifersucht gegen Aibukit so groß – ich will den Einfluss, welchen nach Woodin's und Barber's Behauptungen Cheyne auch hierbei gehabt haben musste, nicht weiter untersuchen –, dass jene einen Feldzug gegen die Leute des Nordens und die „LADY LEIGH“ zu unternehmen beschlossen. Sie waren bei der Inszenierung ihres Planes, den alten Woodin von Aibukit zu verscheuchen, nur ihrem schon früher einmal gegen ein spanisches Fahrzeug geübten Verfahren treu geblieben, das sie ruhig zum Trepangfang nach der nördlich gelegenen Insel Jap absegeln, dort aber von den durch eine große Summe Geldes bestochenen Bewohnern wirklich „abschneiden“ (Abschneiden (cut off) ist der seemännische Kunstausdruck für die Beraubung und Zerstörung eines Schiffs durch Wilde) ließen. Wenigstens geht aus einem von Cheyne am 15. September an den schon nach dem Norden abgesegelten Woodin gerichteten Briefe hervor, dass nach Aussage der Fürsten von Coröre die Leute von Aibukit den Plan gefasst haben sollten, die „LADY LEIGH“ am Tage der Ankunft zu nehmen. Diese Mitteilung Cheyne's hatte offenbar den Zweck, den alten Woodin einzuschüchtern und zum Umkehren zu veranlassen. Als aber dieser trotz der Warnung doch im Hafen von Aibukit ankerte und hier statt feindlichen Empfangs das freundlichste Entgegenkommen von feiten der Eingeborenen fand, schrieb ihm Cheyne am 26. September abermals einen Brief, worin er andeutete, dass die Bewohner von Coröre dies Gerücht ausgesprengt oder auch wirklich den Leuten von Aibukit Geld bezahlt hätten, um ihn – Woodin – abzuschneiden; dass er aber seinerseits überzeugt sei, er werde in Aibukit gute Geschäfte machen, da er dort keine Gefahr zu besorgen habe. Diesen Brief übergab er Woodin's Steuermann Barber, welcher in Geschäften nach Coröre in einem Boote gekommen war, mit dem gleichzeitig gemachten Bemerken, er – Barber – solle lieber gleich bei ihm bleiben; er wolle ihn in Dienst nehmen, und es sei für ihn dies das Beste, da er wahrscheinlich, wie wenigstens gerüchtweise verlautete die „LADY LEIGH“ nicht mehr vorfinden werde. Barber eilte nun wirklich etwas in Angst versetzt, da er die Tücke der Bewohner von Coröre kannte, so rasch als möglich dem Norden zu und kam hier gerade noch zur rechten Zeit, um Woodin von dem Herannahen einer offenbar mit feindlichen Absichten aus dem Süden kommenden Flotille in Kenntnis zu setzen. Wenige Stunden nach ihm kamen wirklich die Kriegscanoes von Coröre, Armlimui und einigen andern Staaten des Südens an, fanden aber Woodin bereit, sie scharf zu empfangen. Nun änderten sie ihren Plan. Der vornehmste König unter ihnen, Ebadul von Coröre ging zu Woodin an Bord und setzte ihm im freundschaftlichsten Tone auseinander, dass sie gekommen seien, die Bewohner von Aibukit zu züchtigen dafür, dass sie sich Rechte anmaßten, welche ihnen nicht gebührten; er tue besser, statt dort oben zu bleiben, wieder mit ihnen nach Coröre umzukehren, um das alte freundschaftliche Verhältnis wieder anzuknüpfen, er solle von den Leuten des Südens so viel Trepang erhalten, als sein Schiff nur fassen könne.

Woodin blieb natürlich taub gegen die Versicherung der Freundschaft wie gegen das Versprechen, das ihm Ebadul machte. Unterdessen waren auch die Kriegscanoes der Bewohner von Aibukit aus ihrem Hafen herausgekommen und stellten sich in Schlachtlinie so auf, das sie, ohne der „LADY LEIGH“ zu nahe zu kommen, unter beständigem Feuern aus Musketen und einigen kleinen Schiffskanonen dem im Halbkreise ruhig liegenden Feinde entgegenrücken konnten. Zum Glück wurde aus der Schlacht keine Schlächterei. Auf Tausende von Schritten brannten sie gegenseitig ihre Flinten und Kanonen ab, die ihre Kugeln kaum einige hundert Schritte weit entsenden konnten, und als nun endlich, ohne dass bisher eine einzige Kugel ein Unglück angerichtet hätte, ein von einem jungen mutigen Fürsten befehligtes Canoe von Aibukit denen von Coröre so nahe gekommen war, dass wirklich ein von ihm abgesandtes Geschoss einem der feindlichen Canoes ein Loch schlug, sodass es augenblicklich sank – da machte die ganze südliche Flotte kehrt und enteilte mit günstigem Winde den Verfolgungen des Feindes. Zur Verherrlichung des Sieges wurden dann in Aibukit Feste gehalten und Lieder gedichtet, in denen ganz besonders jener mutige Held gefeiert wurde, der mit einer einzigen glücklichen Kugel die ganze feindliche Armada des Südens in die Flucht geschlagen hatte. Mit diesem einen Siege hatte sich nun Aibukit eine Stellung errungen, wie es nie zuvor besessen hatte; gleich begaben sich mehrere kleinere Fürsten in seinen Schutz, sodass sich die zahlreichen Palaustaaten in zwei Gruppen teilten, deren eine dem südlich liegenden Coröre die andere Aibukit eine gewisse Führerschaft im Kriege wie in der Politik zuerkannte. Zwischen den Reichen beider Liguen fanden nun alle Augenblicke kleine Reibereien statt, die sich auf das Verbrennen einiger Canoes oder die Ermordung einiger weniger Personen beschränkten, bis endlich im Januar 1862 den Südländern die günstige Zeit zur Führung eines Hauptstreichs gekommen zu sein schien. Und die Geschichte desselben war es, welche unsere Freunde von Peleliu so in Aufregung erhielt und deren trüben Eindruck auch ich mich um so weniger erwehren konnte, als ich durch sie gleich an die Rolle erinnert wurde, welche wir Weißen nun schon seit Jahrzehnten mit oder ohne Schuld dort im Stillen Ocean spielen. Zwar erfuhren wir erst später den ganzen Zusammenhang des Vorfalls, als wir in Aibukit angekommen waren; aber so viel schien doch aus den verworrenen und offenbar sehr ausgeschmückten Erzählungen der Insulaner hervorzugehen, dass während der Abwesenheit der „LADY LEIGH“ das Dorf Aibukit abermals einem Angriffe von Seiten der Bewohner von Coröre ausgesetzt gewesen, dass aber diesmal für unser befreundetes Dorf die Sache sehr schlimm abgelaufen war, da Cheyne's Verbündete sich der tätigen Unterstützung von Seiten eines englischen Kriegsschiffs zu erfreuen gehabt hatten.

Trübe gestimmt von dieser Hiobspost, die uns mehr als vielleicht nötig erregte, da wir den Umfang des getanen Schadens nicht ermessen konnten, setzten wir unsere Reise fort, an der Westseite der nun allmählich sich je weiter gen Norden zu um so mehr von den Inseln entfernenden Riffe entlang. Am 23. März schon hatten wir den höchsten Berg der Insel Babelthaub passiert, der in seiner abgerundeten Kuppenform in schroffem Gegensatze zu den steilen schmalen Klippen des Südens sowohl wie zu einigen andern benachbarten Bergen derselben Insel stand. Das Leck hatte sich jetzt offenbar bedeutend vergrößert; denn nie mehr konnte die Pumpe ruhen bei Tag und Nacht. Aber meine durch so widerwärtige Reise noch mehr gesteigerte Ungeduld, endlich in den Hafen einzulaufen, wo ich gleich das Schiff zu verlassen und mit Johnson's Hilfe meine Arbeiten zu beginnen gedachte, wurde erst am Nachmittag des 25. März befriedigt. Südliche Strömung hatte uns in der Nacht vom 24. auf den 25. weit nach Norden bis über den Kanal hinaus getrieben, welcher in nordwestlicher Richtung gegen Aibukit zu laufend das hier mehr als eine deutsche Meile weit von der Insel abstehende Riff durchbrach. Zum Glück drehte sich am Tage der Wind mehr nach Norden, sodass wir gegen 3 Uhr nachmittags uns am Eingange des Kanals befanden. Ich stieg in den Mastkorb, um von hier aus unsere Einfahrt besser beobachten zu können. Trotz der ziemlich großen Entfernung des festen Landes war doch die Atmosphäre so durchsichtig, dass ich deutlich die Insel erkennen konnte, wie sie dalag mit ihren hier und da hoch über die Waldung emporragenden Kokospalmen inmitten eines breiten Streifens prächtig meergrünen Wassers, während hart an den schäumenden Rand des Außenriffs die tiefblaue See stieß. Sieht man aus solcher Höhe auf das Meer herab, so sind seine mit der Tiefe wechselnden Farben von einer wunderbaren Pracht und Durchsichtigkeit. Und neben uns tummelten sich auf der Fläche vier der Canoes von Aibukit, die uns entgegengekommen waren, um uns durch die schwierigen Kanäle hindurchzugeleiten. Wie die Möwen mitunter, wenn sie ermüdet sind, halb fliegend auf den Spitzen der Wellen zu ruhen scheinen, dennoch aber das schnellste Schiff rasch hinter sich lassen, so flogen die leichten Canoes über das Meer dahin, oft mehr als zur Hälfte aus dem Wasser an den Seiten unsers Schoners vorbei, vor uns und hinter uns herum; bald gönnten sie dem Schiffe, das seine 5 bis 6 Knoten lief, den Vorrang, dann aber schossen sie spielend in wenig Minuten wieder an ihm vorüber. Eins derselben schlug um, aber niemand kümmerte sich um die Insassen, und schon nach etwa 10 Minuten war das Boot wieder umgedreht, seines eingenommenen Wassers entledigt, und bald darauf flog es wieder heran, uns auch fernerhin in dem scheinbaren Spiele beizustehen. Sie dienten uns nämlich als Lotsen. Wo eine gefährliche Untiefe oder ein vorspringendes verdecktes Riff war, da sprang ein Mann ins Wasser und hielt das Boot an, bis wir glücklich vorüber waren; dann ging es weiter zur nächsten Station. In solcher Beschäftigung muss man die Bewohner der Inseln im Stillen Ozean bewundern lernen, da ist jede Spur von Indolenz und Trägheit aus ihrem Gesicht verschwunden, jede Bewegung ihres aufs äußerste angespannten Körpers ist richtig abgemessen, leicht und schön, und aus dem dunkeln Auge leuchtet die innigste Freude über das aufregende Spiel mit den Gefahren, die ihnen überall in den spitzen Korallenblöcken entgegenstarren. Sie brachten uns glücklich nach etwa einstündiger aufregender Fahrt zum Ankerplatz im Hafen von Aibukit, etwa einen guten Büchsenschuss vom Lande, und als der Anker fiel, da stiegen von allen Seiten auch schon die Insulaner herauf, und Kapitän Woodin und Johnson drückten ihren alten Freunden die braunen Hände. Leider bestätigten sie uns alle jene Nachrichten, die wir bei Peleliu erhalten hatten; aber in die Trauer über das Elend, dem sie sich bis dahin ausgesetzt gesehen hatten, mischte sich nun die kindlichste Freude über die glückliche Ankunft von Piter (Johnson) und Cabel Mul (Kapitän Woodin), die ihnen wie Boten einer glücklichern Zukunft erschienen.

II.

Erster Aufenthalt am Lande 

Bis spät in den Abend hinein blieben unsere Freunde bei uns. Es waren fast ausschließlich Männer der unteren und mittleren Klassen, die uns zu helfen gekommen waren, und von denen gleich eine Anzahl durch Woodin engagiert wurde, zu pumpen und bei dem am nächsten Morgen zu beginnenden Löschen des Schiffs zu helfen, da die hauptsächlich aus Manilesen bestehende Mannschaft sehr erschöpft war. Die Mehrzahl dieser Leute waren schlank und gut gewachsen, von dunkelbrauner, selbst schwarzbrauner Körperfarbe, die freilich oft durch das Gelb der aus Curcuma bereiteten Farbe verdeckt wurde, mit der sie sich in verschiedenster Weise bemalt hatten; auf dem Kopfe hatten sie meist eine mächtige aus krausen Locken gebildete Haarkrone, welche hinten in einen kurzen Zopf zusammengebunden war. In ihrem dichten Haargewirre steckte der so charakteristische dreizackige Kamm mit weitgespreizten Zinken, wie er fast ausschließlich bei allen polynesischen Negerstämmen gefunden wird. Auch in den Gesichtszügen zeigte sich unverkennbar der papuasische Typus ausgeprägt; und schon unter den ersten Besuchern von Peleliu war mir ein kleiner Mann mit ausgesprochenen jüdischen Gesichtszügen aufgefallen. Ich kannte damals noch nicht das Reisewerk von Salomon Müller. in dessen prächtigem Atlas ich später das Porträt eines Bewohners von Gobie auf Neuguinea fand, der ganz gut als der Bruder jenes Mannes von Peleliu hätte gelten können. Dieselbe Beobachtung wird aber von allen Reisenden gemacht, welche mit echten Papuas auf Neuguinea oder mit andern Negerrassen im Stillen Ocean wie den Bewohnern der Louisiaden, Fidji-Inseln oder selbst Australiens in Berührung kamen; allen ohne Ausnahme fielen solche ausgeprägt jüdische Physiognomien auf, wie man sie niemals unter den Stämmen rein malaiischen Ursprungs beobachtet hat. Dass aber die Bewohner von Aibukit neben Papuablut auch malaiisches in den Adern hatten, bewiesen abgesehen von dem meiner Meinung nach keinen Ausschlag gebenden glatten Haar (In dem äußerst dogmatisch gehaltenen Buche von Häckel „Urgeschichte der Schöpfung“ wird ein Stammbaum der Menschen aufgestellt, welchem das glatte oder das krause Haar als ganz scharfes und zutreffendes Merkmal zur Erkennung der Verwandtschaft der verschiedenen Menschenrassen zu Grunde gelegt wird. Es beruht dies wahrscheinlich auf der Untersuchung Pruner-Bei's, welcher den Querschnitt des krausen und glatten Haars ziemlich verschieden fand und daraufhin einen wesentlichen Gegensatz auch sonst in den Rassen annehmen zu können glaubte; denn Pruner-Bei war der erste, der wenigstens genauer als bisher den Querschnitt der Haare in ethnographischer Beziehung untersuchte. Abgesehen nun davon, dass der Einfluss der Vermischung verschiedener Völker auf die Form des Haars (dessen Querschnitt) bisher nicht untersucht worden ist, abgesehen ferner von der Tatsache, dass jeder gewissenhaft beobachtende Reisende überall nur gemischte Rassen, nirgends reine findet – sodass die Frage, welchem der Urstämme diese oder jene Form des Haars zukomme, gar nicht mehr zu entscheiden ist –; und abgesehen endlich davon, dass die Abhängigkeit des Haars in seinem Wachstum von den äußeren Lebensbedingungen absolut unbekannt ist, also auch darin liegende Fehlerquellen bei der ganz hypothetischen Aufstellung jenes Dogmas vom Gegensatz des krausen und glatten Haars gar nicht vermieden werden konnten: abgesehen von alledem stehen weder die Beobachtungen Pruner Bei's mit seinen theoretischen Behauptungen vor allem das breitknochige fast viereckige Ge hauptungen in so vollständigem Einklange, dass sie überhaupt beachtet zu werden verdienten, noch gehen seine Annahmen parallel mit den analogen Hypothesen anderer Ethnologen, welche glauben, durch einige Maße die typische Schädelform jedes Stammes feststellen, durch die Übereinstimmung in den Maßen auch die Menschenrassen ethnologisch gruppieren zu können. Hypothetische Voraussetzungen – und weiter nichts, ich wiederhole, ist Häckel’sche Menschenstammbaum – können nur dann einigen Anspruch Beachtung machen, wenn sie sich gegenseitig decken; widerspricht die eine andern, so sind sie gewiss beide verkehrt.) vor allem das breitknochige fast viereckige Gesicht mit den stark hervortretenden Backenknochen und die äußerst kleinen Augen.

Am nächsten Morgen wurden wir früh durch vornehmen Besuch überrascht. Am Abend schon hatte uns Krei seinen Adoptivsohn, den kleinen Cordo, entführt; morgens kehrten sie beide zurück in Begleitung eines breitschulterigen, ausnehmend gutmütig aussehenden Mannes, des vornehmsten Fürsten im Staate Aibukit, Mad. Mit ihm kamen eine Anzahl anderer Fürsten und auch mehrere junge Mädchen, von denen zwei sich immer an der Seite Mad's hielten, während die andern in ziemlich freier Weise zwischen den fremden Matrosen mit ihren von der Taille bis zum Knie reichenden und seitlich die Schenkel ganz frei lassenden Blätterkleidern dahinrauschten. Fast alle trugen sie eine duftende Blume im Ohr. Die Männer, teilweise ganz nackt oder nur mit einem Lendengürtel bekleidet, den sie oft genug auch in der Hand hielten, blieben mit Ausnahme weniger Vornehmer ganz im Vordergrunde des Schiffs, weit entfernt von Krei und Mad, sodass ich durch die Achtung, welche beiden gezollt wurde, schon ihre hohe Würde hätte erraten können, selbst wenn ich nicht durch Woodin und Johnson längst gehört hätte, dass ich hier die zwei mächtigsten Fürsten des Dorfs und Staats Aibukit vor mir sähe.

Die sozialen Strukturen der Palau-Insulaner

Beide Männer wurden immer nur mit dem angegebenen Namen angeredet, welche, obgleich beide, Mad wie Krei, Eigennamen, doch auch zugleich echte Titel für eines jeden Stellung im Staate waren. Beide besitzen noch einen andern Namen, den ihrer Jugend, den sie aber beim Amtsantritt mit dem unwandelbaren Titel ihres Amts vertauscht hatten. Das gleiche Vorrecht haben nur noch die eigentlichen Fürsten – die rupacks –, deren Zahl und Namen ich leider nicht völlig genau ermitteln konnte und welche die erste Klasse der Bevölkerung bilden. Mad (d. h. Tod) ist der eigentliche König, dem als solchem neben dem Vorsitz im Fürstenrate die alleinige Entscheidung und Sorge über ihre religiösen Feste und alles, was sich mit ihrem Ahnenkultus verbindet, zusteht. Ihm ist ein wirklicher Almosenier untergeordnet, der Inateklò genannt, ebenfalls Sitz und Stimme im Fürstenrate hat. Zweiter im Staat ist Krei, der Krieger und Feldherr sowie Anordner aller öffentlichen und Gemeindearbeiten, ein echter Majordomus, der auch hier im Stillen Ozean öfter eine ähnliche Rolle gespielt hat, wie der Taikun in Japan oder die Hausmeier der Merovinger im Frankenreiche. Im Fürstenrate sitzt er Mad gegenüber; und jedem schließt sich auf seiner Seite ein Gefolge kleinerer Fürsten an, bei ihren großen Festen sowohl wie bei ihren feierlichen über das Wohl und Wehe des Staats beschließenden Sitzungen. Diese Teilung der Gesamtzahl der Fürsten in solche, welche dem Krei oder dem Mad folgen, ist aber nicht bloß auf das öffentliche Leben beschränkt. Ein jeder der beiden Fürstenhäupter ist zugleich auch Vorsteher seines Gefolges, mit welchem er zusammen ein großes Haus – hier bai genannt – besitzt und worin die Mitglieder dieser Vereinigung des sogenannten Clöbbergöll, die Nächte und einen großen Teil der Tageszeit zubringen.

So bildet also in Aibukit – und ähnlich wie hier ist es in allen übrigen Staaten des Landes – die erste Klasse der eigentlichen Fürsten zwei sogenannte Clöbbergölls.

In der zweiten Klasse der Bevölkerung, der sogenannten kleinen Fürsten (kikeri rupack) oder derjenigen der Freien sowohl wie in der dritten der Hörigen – des armeau – finden sich ähnliche, aber viel zahlreichere Clöbbergölls, die sich am besten wohl noch mit unsern Regimentern vergleichen lassen. Denn in der Tat herrscht hier eine allgemeine Wehrpflicht, wie sie weitgehender und in alle sozialen Verhältnisse tiefer eingreifend wohl kaum gedacht werden kann. Vom fünften oder sechsten Jahre an sind alle Knaben gezwungen, in einen solchen Clöbbergöll einzutreten, sich an den Kriegen und an den von der Regierung angeordneten öffentlichen Arbeiten zu beteiligen. Aber in ihnen sind die Freien und die Hörigen nicht streng voneinander geschieden, wenngleich jene immer den Vorrang haben, einmal als Freie, dann aber auch, weil aus ihrer Zahl die eigentlichen Fürsten teils nach Erbfolgegesetzen, teils durch Wahl genommen werden. Während also von diesen viele nur bis zu einem gewissen Lebensalter einem der zahlreichen niedern Clöbbergölls angehören, dann aber als Rupacks in den Fürstenkongress eintreten, bleiben jene, die Männer des Armeau, bis an ihr Lebensende in den Regimentern zweiter Ordnung. Eine Trennung findet hier nur insofern statt, als in jedem einzelnen Clöbbergöll, welcher im Durchschnitt etwa 35 bis 40 Mann zählen mag, immer nur gleichaltrige Knaben oder Männer zugelassen werden, sodass ein jeder von ihnen während seines Lebens normaler Dauer wenigstens drei oder vier verschiedenen Clöbbergölls angehört hat.

Im Grunde genommen bildet nun eigentlich ein jedes Dorf einen in der angegebenen Weise gegliederten Staat für sich. Jeder derselben hat also auch seine besonderen Titel für die entsprechenden Ämter, die niemals die gleichen sind. So heißen die beiden Coröre regierenden Fürsten Ebadul (Abba Thule bei Wilson) und Arra Kooker; aber es sind auch hier nicht, wie Wilson meint, ihre Eigennamen, sondern nur ihre durch alle Generationen hindurch gleichbleibenden Titel. Ihr Sinn blieb mir leider unbekannt. Bald bestehen nun diese einzelnen Dörfer als Staaten für sich und nebeneinander, wie in Peleliu und auf Kreiangel, oder es ordnen sich mehrere einem mächtigern unter und treten zu ihm in ein gewisses Vasallenverhältnis. Ich hatte weiter oben schon angegeben, wie sich infolge der Anwesenheit Cheyne's und Woodin's auf Babelthaub die Staaten in zwei Gruppen teilten, deren Führerschaft Coröre und Aibukit ausübten; mit jenem Staate waren außer den verschiedenen kleinern Reichen Pelelius noch Armlimui und Eimelig an der Südwestküste und Aracalong an der Nordspitze von Babelthaub verbündet, während Athernal und Eirei die Verbündeten von Aibukit waren. Die im Norden der Gruppe, von ihr durch einen breiten Tiefwasserkanal getrennt liegende Insel Kreiangel – ein echter Atoll – verhielt sich neutral. Doch aber war die Absorptionskraft dieser beiden augenblicklich mächtigsten Staaten schon so groß geworden, dass eine Anzahl anderer Dörfer, welche früher theilweise eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hatten, in ein direktes Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen getreten waren, sodass die dem Mad oder Krei in Aibukit entsprechenden Fürsten z. B. von Rallap, Kaslau, Roll, Aulima und mehreren andern Dörfern, wohl in ihrer Heimat noch dieselbe Stellung einnahmen, aber im Fürstenrate von Aibukit selbst nur den Rang eines gewöhnlichen rupack beanspruchen konnten. Natürlich wurden dadurch in jenen Vasallenstaaten auch die andern Vornehmen um eine Stufe tiefer gestellt, sodass sie in Aibukit selbst genau dieselbe Stellung besaßen wie die zur Nachfolge bestimmten Vornehmen der zweiten Klasse. An den allgemeinen Beratungen des in Aibukit tagenden Fürstenrats konnten also auch nur die beiden ersten Rupacks der untergebenen Dörfer teilnehmen; und durch diese Verschmelzung kam es denn auch, dass mitunter ein solcher neben seinem vornehmern Amte in der Heimat noch ein anderes, weniger ausgezeichnetes, im Staate Aibukit selbst bekleidete. So entsprach Arda in Rallap dem Mad in Aibukit, nahm aber in diesem Orte seinen Sitz ein unter dem Titel Albro als der dritte oder vierte hinter Mad.

Schon am Abend unserer Ankunft hatte ich Johnson ungern allein abreisen lassen, denn ich sehnte mich in die neue Umgebung hinein, überdrüssig der langweiligen Unterhaltung mit Woodin und Gonzalez; ich sah die Riffe in meilenweiter Ausdehnung vor mir, ohne dass ich auch nur eine Koralle von ihnen hätte abbrechen können, und zwischen den Palmen hindurch, die ziemlich bestimmt die Lage von Aibukit und einigen andern Dörfern bezeichneten, stiegen Rauchwolken auf, die mich mahnten, dass dort ein weites Feld für meine Studien offen lag. Am 26. März endlich – die zwei Tage an Bord schienen mir eine Ewigkeit zu sein – ging ich, von Johnson geleitet, mit Alejandro und Gonzalez ans Land. Es war gerade Flut. Wir fuhren in einem jener schnell segelnden einheimischen Boote dort „amlai“ („Amlai“ heißt ganz im allgemeinen Boot, Canoe, ohne Rücksicht auf Größe oder Bestimmung. Ihre Konstruktion ist eigentümlich; weiter unten folgt eine genauere Schilderung eines solchen Amlai. Doppelcanoes, wie sie bei den Polynesiern üblich sind, kommen hier nicht vor; selbst die größten Kriegsamlais, in denen 60 bis 80 Personen Platz haben, besitzen nur einen Ausleger an der einen Seite des aus einem Einbaum bestehenden Bootes) genannt, in welchem man freilich vor dem Umschlagen nie so recht sicher ist, auf eine lange, quer die nicht sehr tiefe Bucht von Aibukit absperrende künstlich aufgeführte Mauer zu, durch welche nur eine schmale, mittels einiger Planken überbrückte Öffnung hindurchführt. Hinter der Mauer wurde das schon sehr seichte Bassin mehr und mehr durch Mangrovendickichte eingeengt, bis wir uns endlich in einem kaum 30 Fuß breiten Kanale befanden, in welchen von allen Seiten die Rhizophoren ihre Luftwurzeln einsenkten. Die Mehrzahl dieser Bäume war offenbar jung; aber mitunter ragten aus dem etwa 40 bis 50 Fuß hohen dem Meer entsteigenden Walde einzelne viel höhere und dickere Bäume hervor. Von einem dieser letzteren waren bei dem oben erwähnten Angriff der Engländer durch eine Granate mehrere Äste abgerissen, und auch noch an andern Stellen wurden mir weite Löcher gezeigt, welche offenbar nur vom Kanal selbst aus abgeschossene Kugeln eingerissen haben konnten. Natürlich bildete bei dieser Fahrt jener Angriff den wichtigsten und einzigen Gegenstand der Unterhaltung, und als wir am innern Hafen des Dorfs landeten, trat mir in dem halbverbrannten Boothaus der Bewohner ein traurig stimmendes Zeichen des stattgefundenen Kampfes entgegen. Auch als wir dann auf ziemlich steilem, teilweise gepflastertem Wege nach etwa 10 Minuten bei den ersten Häusern des Dorfs ankamen, verfolgten mich überall die Spuren, die jene Krieger hier zurückgelassen hatten. Hier war ein Loch in dem Dache eines Hauses, durch welches eine Rakete hindurch fuhr noch nicht wieder ausgebessert. Eingeborene brachten mir gleich bei der ersten Begrüßung ausgebrannte Raketen und zersprungene Granaten herbei, und wo ich hinhörte – soweit ich mit Hilfe Johnson's und Cordo's, der mir auch mitunter als Dolmetscher diente, erfahren konnte –, wurde von nichts anderem gesprochen als vom letzten Kriege und von den Hoffnungen, die man nun auf Cabel Mul und auch auf mich setzte. Teilweise hatte ich hieran wohl selbst Schuld. Empörte mich doch in tiefster Seele das herzlose Spiel, das von Weißen mit diesen freundlichen Menschen getrieben worden war; und ich nahm mir vor, die Schuld, die jene Europäer auf sich geladen, dadurch zum Teil zu sühnen, dass ich die nächste Zeit ausschließlich zum Sammeln von Notizen benutzte, um die Geschichte des Angriffs mit allen ihren Einzelheiten der Vergessenheit entreißen und den einzig Schuldigen öffentlich bezeichnen zu können. In dieser Absicht durchstrich ich nun die nächste Umgebung von Aibukit nach allen Richtungen, begleitet von Johnson und Cordo als Dolmetscher und von zahlreichen Eingeborenen, die mein lebhaftes Interesse an dem Unglück das ihnen widerfahren, nicht anders auszulegen vermochten als durch die Annahme, ich sei ein mächtiger Rupack meines Landes, gekommen, sie zu beschützen und ihre Widersacher zu bestrafen. Das Resultat dieser während der ersten Zeit ganz mich absorbirenden Studien enthält ein Artikel, den ich später im Juli bei der ersten und einzigen Gelegenheit, Nachrichten von mir nach Manila gelangen zu lassen, an meinen Schwager Moritz Herrmann schickte, durch dessen Vermitte lung derselbe im dortigen „Diario e Manila“ erschien. Ich gebe ihn auch hier unverkürzt wieder, um den Leser in den Stand zu setzen, sich selbst ein Urteil zu bilden.

* * *

„Die nachfolgende Erzählung bedarf keines Kommentars. Sie enthält die Schilderung der wichtigsten Momente des Angriffs eines englischen Kriegsschiffs auf ein friedliches Dorf im Norden der Insel Babelthaub, zu welchem, wie es scheint, der Kapitän R. Browne „H. M. Ship SPHINX“ lediglich veranlaßt wurde durch die Aussagen des Kapitän Cheyne, eines Mannes, dessen langjährigem Treiben im Stillen Ocean hoffentlich bald und für immer ein Ende gesetzt werden wird. Ich sammelte diese Angaben während meines jetzt viermonatlichen Aufenthalts in dem angegriffenen und teilweise zerstörten Dorfe, doch verwahre ich mich ausdrücklich gegen die Garantie der völligen Richtigkeit aller derselben, und ich publiziere sie nur, um teils die Aufmerksamkeit der zuständigen Behörden auf das rasche und inhumane Verfahren des Befehlshabers des Kriegsschiffs zu lenken, teils um einem etwaigen Berichte von seiten jenes Cheyne zu begegnen, da die Erfahrung gelehrt hat dass jedes Mal nach seiner Einkehr in einem englischen Hafen eine gänzlich entstellte Darstellung der Ereignisse auf den von ihm besuchten Inseln in den Blättern erschien.

Im Monat Oktober 1861 warf das englische Schiff „SPINX“ Anker im Hafen von Coröre. Vom Admiral der Flottenstation in Hongkong auf eine friedliche Mission ausgesandt, verschollene Matrosen zu suchen – hatte es auch den Befehl erhalten, die Palauinseln zu berühren. Kapitän Woodin hatte sich in Manila seines zweiten Steuermanns beraubt und ihn dem damals statt des kranken Kapitäns fungierenden ersten Lieutenant als Dolmetscher gegeben, mit der ausdrücklichen Bitte, ihn in Aibukit zu landen, wohin er – Woodin – später selbst mit seinem Schiffe zu gehen gesonnen war. Wie es scheint, genügten die Intrigen des Kapitäns Cheyne, über deren Ausdehnung natürlich nur wenig zu erfahren war, den jetzt wieder als Kommandeur fungierenden Kapitän Browne zu veranlassen, nicht allein das vom ersten Lieutenant als Kommandeur gegebene Wort zu ignorieren, sondern sogar eine Expedition gegen das Dorf Aibukit zu machen, deren Charakter ganz der eines beabsichtigten Angriffs war. Hierbei wurde, auf Anstiften des Kapitäns Cheyne jener Steuermann des Kapitän Woodin, gegen seinen ausdrücklich ausgesprochenen Wunsch, in Coröre zurückgelassen, und statt dieses Mannes, der obgleich spanischer Mestize, doch die Ehre der englischen Flagge gewahrt haben würde, fungierte als Dolmetscher ein seit nahe 30 Jahren hier lebender Engländer Namens Davis, der, lediglich ein Instrument des Kapitäns Cheyne, unter dem Schutze englischer Waffen seine und vielleicht auch fremde Rachsucht befriedigte.

Eines Tages gegen Mittag erschienen die drei Boote des Kriegsschiffs, wie es scheint mit vier 18pfündigen Geschützen bewaffnet, vor dem Eingange der kleinen Bucht von Aibukit, denen sich von Aracalong her, einem etwa vier Meilen nördlicher liegenden Dorfe, das Boot des Kapitäns Cheyne angeschlossen hatte, mit seiner Mannschaft und Leuten aus Coröre. Er selbst hatte es für ratsamer erachtet, sich außer Schussweite zu halten. Dicht vor dem Eingange in die durch einen künstlichen Steinwall fast geschlossene Bucht, bei dem Platze Auru, fiel der erste Schuss, wie es scheint ein blinder, dem aber rasch und nicht in den üblichen Zeitintervallen die scharfen Schüsse folgten. Währenddessen landeten die Soldaten in Auru, wo sich kein einziger der Eingeborenen sehen ließ, und gingen mit Davis als Führer an der Spitze und einem von Zeit zu Zeit feuernden Berggeschütz versehen, nach dem Dorfe Atrarò, wo sich ihnen die Eingeborenen entgegenstellten. Diese flohen bald. Nachdem dann Davis das ganze Dorf in Brand gesteckt, kehrten die Soldaten zurück nach Auru, wo ebenfalls ein dort befindliches Haus niedergebrannt wurde, gingen über jenen obenerwähnten Steinwall nach Ungeläl auf der nördlichen Seite des Hafens und über die Hügel nach dem Dorfe Eijül, wo sie jedoch, wie es scheint, einen kräftigeren Gruß erhielten als im ersten Dorfe; denn es gelang ihnen an jenem Tage nicht, das Dorf zu nehmen. Sie kehrten um, und mit einbrechender Nacht zogen sie sich nach Aracalong zurück.

Am nächsten Tage etwa gegen 10 Uhr kehrten sämmtliche vier Boote zurück nach Ungeläl, von wo ein Teil der Soldaten unter Davis Führung über die Berge nach Eijül ging, nachdem sie vorher ein großes den Vornehmen des Dorfs gehörendes Haus in Brand gesteckt hatten. Diesmal gelang es ihnen, den Ort zu nehmen, welcher ebenfalls zum größten Teil eingeäschert wurde. Zu gleicher Zeit gingen einige Boote die schmalen Kanäle zwischen den Mangrovebüschen, beständig feuernd, bis in die innersten östlichen Winkel hinauf, wo sich mehrere Häuser und ein Boothaus befanden. Hier wurden sie begrüßt durch das Feuer einer kleinen Kanone, die unter der Leitung eines Eingeborenen von Luzon Namens Mariano die Boote jeden Augenblick in den Grund zu bohren drohte. Auch hier wurde Feuer an die Häuser gelegt; und obgleich, wie es scheint, die Engländer sich bemühten, die Boote aus dem brennenden Boothause zu retten, so gereichte diese humane Handlung doch den Einwohnern von Aibukit nicht zum Vorteil, denn auch unter jener Schutze wurden fast sämtliche gerettete Boote durch Eingeborene aus andern Dörfern gestohlen. Hiernach kehrten die Boote um, abermals in Aracalong einkehrend, wo sich beständig jener Cheyne befand.

Am dritten Morgen landeten die Boote bei Auru, und nun geschah das, was Kapitän Browne bereits am ersten Tage hätte tun sollen; es wurde Davis als Unterhändler nach dem Dorfe Aibukit abgeschickt, mit der Bitte, dem Kapitän zu erlauben, hinaufzukommen. Die Eingeborenen, deren Mistrauen an der Aufrichtigkeit dieses Mannes wohl zu verzeihen war, verbaten sich seinen Besuch, fürchtend es möge auch ihr Hauptdorf eingeäschert werden. Von allen Aibukit befreundeten Dörfern waren eine Menge gutgerüsteter junger Männer gekommen; sie hatten unter der Leitung des schon genannten Mariano ihre wenigen Geschütze an den wichtigsten Punkten aufgestellt, Steinwälle rasch aufgeworfen, ihre Weiber und Kinder in die Berge geschickt und sich zum kräftigsten Widerstande gerüstet; und es scheint keinen Zweifel zu leiden, dass ein abermaliger Angriff den Engländern ein unglückliches Schicksal bereitet hätte. Er wurde zum Glück nicht unternommen. Davis kehrte ohne jene Erlaubnis zurück, aber mit ihm war ein Rupack gekommen, der dem Kapitän Browne zum Zeichen des Friedebittens nach Landessitte ein großes Stück einheimischen Geldes gab. Hierauf kehrten die Engländer nach Aracalong zurück, wo, wie es scheint, Cheyne verschwunden war.

Am vierten Tage ging Kapitän Browne von Davis und zwei andern Männern begleitet in das Dorf, wo er von einem der Rupacks begrüßt wurde. Nach Besichtigung des Dorfs und Austausch freundschaftlicher Versicherungen zwischen ihm und dem Könige (Mad), der ihm eine Anzahl Schweine schenkte, kehrten sie um nach Auru. Hier hatten unterdessen die Leute aus Aracalang oder Coröre das Haus des Kapitäns Woodin angezündet, in welchem sich etwa 250 Pikul Trepang und nicht unbeträchtliches anderes Eigentum befand. Dies war der Dank, den Woodin dafür erhielt, dass er sich seines Steuermanns für mehrere Monate beraubte, in der Absicht, sein Möglichstes zu dem glücklichen Resultate einer humanen Mission beizutragen! Statt aller Entschuldigung oder Erklärung erhielt er bei seiner Ankunft hier von jenem Kapitän Browne nur den „Befehl“, sich des Mariano zu bemächtigen und ihn den Behörden in China oder Manila zu überliefern, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen wegen Feuerns auf die englische Flagge.

Bei unserer Ankunft hier im März 1862 fanden wir fast alles noch wie am Tage nach dem Gefecht. Überall Spuren des Feuers, die Häuser zerstört, die wenigen Boote, teilweise zerbrochen, lagen auf der Erde, durch die Schüsse zersplitterte Bäume – überall das Bild der Verwüstung. Es hatte dies Unglück gänzlich den Mut der Bewohner gebrochen, und erst jetzt (Juli), fast zehn Monate später, beginnen sie wieder ihr Haupt zu erheben. Wunderbar bleibt mir nur, dass auf keiner Seite eine Verwundung stattgefunden zu haben scheint, obgleich der Rock des Kapitäns von einem Schuss durchlöchert, seinem Boote durch eine Geschützkugel ein Stück des Bordes abgerissen worden sein soll. Von feiten der Engländer wurden gefüllte, wahrscheinlich 18pfündige Granaten und eine Menge 2½- oder 3zölliger Raketen abgefeuert, von denen eine durch das Haus von Krei dicht an seinem Kopfe vorbeifuhr und auf der andern Seite seinen verderblichen Inhalt entleerte. Von diesen Raketen sollen mehr als 50 Stück aufgefunden worden sein, und ebenso eine Menge nur teilweise krepierter Granaten.

Manchem Europäer, an die Gräuel europäischer Kriege gewöhnt, mag ein zweitägiges Gefecht, in welchem kein Leben verloren wurde, nicht hinreichender Grund zu solcher Anklage scheinen, wie ich sie hier erhebe. Diesen gegenüber halte ich es für unnötig, mehr zu sagen; aber für jeden humanen, edel denkenden Menschen wird das Lesen jener Tatsachen hinreichen, ihn über die begangene Rohheit als Europäer erröten zu lassen. Wenig, ja nichts lässt sich zur Entschuldigung sagen, denn wenn auch, wie zu vermuten ist, die üblichen drei Schüsse behufs Aufziehens der Nationalflagge gefeuert wurden, wenn auch der Kapitän Browne durch die Versicherungen jenes Cheyne, vielleicht sogar durch falsche Eide der seit langen Jahren hier residierenden Engländer Davis und Simpson getäuscht und zum Angriff veranlasst wurde – so gereicht dies wohl zur Erklärung nicht aber zur Entschuldigung. Es war nicht seine Aufgabe, für die Sache eines Mannes, dessen Aussagen nur durch zwei verwilderte Engländer unterstützt wurden, in den Kampf zu gehen, und die Nichtbeachtung jener drei Schüsse, wenn diese überhaupt gefeuert wurden, kann den Angriff nicht rechtfertigen, da man bedenken musste, dass man es mit Eingeborenen zu tun hatte, welche europäische Gebräuche nicht kennen. Ja wäre selbst der erste Schuss von Seiten der Eingeborenen gefallen, so ist hierfür überreicher Grund zur Entschuldigung vorhanden, denn jener Cheyne hatte seit langem dem Dorfe Aibukit, dessen Bewohner nicht für ihn fischen wollten, mit Krieg und dem Herbeirufen eines Kriegsschiffs gedroht; und als sein Boot mit den drei andern ankam als wahrscheinlich nach Aibukit, mit oder ohne Absicht, die Nachricht gebracht worden warm dass nun Cheyne wirklich komme, sie zu bekriegen, da, deucht mir, war (nach den Gebräuchen des Landes) genug Anlass zur Eröffnung des Feuers von feiten der Bewohner von Aibukit gegeben.

Man nennt den Ozean, der diese Inseln badet, das Stille Meer. Aber wie seine mächtigen Wogen, oft kräftig genug, die größten Schiffe über die Riffe feiner Atolle in die Lagune hinüberzuheben, sich bald zum Spiegel ebnen, jede Spur des gewesenen Aufruhrs tilgend – so hört die Geschichte nicht den Sturm unter seinen Bewohnern, die Grausamkeiten nicht, die sie unter sich verübten, die gegen sie von den Europäern von jeher begangen wurden. Nicht erscheinen wir Weißen dabei im günstigern Lichte. Wo immer ein Zusammenstoß zwischen Farbigen und Weißen stattfand, da war ein Irrtum von unserer Seite der geringste Fehler, öfter war es Rohheit der Seefahrer, vielleicht am häufigsten gemeine Gewinnsucht, welche ihn hervorrief. Ich kenne dunkle Blätter aus der Lebensgeschichte eines noch lebenden Mannes, welcher in der Hoffnung, eine reiche Ladung als Lohn für solche Gunst zu erhalten, in seinem Schiffe eine Menge bewaffneter Leute nach einer andern Insel brachte, wo sie verräterisch eingeführt, ein furchtbares Blutbad unter den Bewohnern anrichteten, Weiber und Kinder nicht schonend. Seine ganze Bezahlung bestand in einem Schweine. Solche Geschichten scheuen die Öffentlichkeit; aber wo sie zufällig in den Besitz redlicher Menschen gelangen, da ist es ihre Pflicht zu sprechen, so laut zu sprechen, als ihre Stimme es ihnen erlaubt. Möge die meinige nicht ungehört verhallen.

Aibukit den 28. Juli 1862.“

* * *

Mit dem Sammeln der in obiger Erzählung niedergelegten Notizen – die ich jedoch auch später beständig zu ergänzen versuchte – vertrieb ich mir die erste Zeit, die mir sonst wohl herzlich langweilig geworden wäre. Denn wenn ich auch den Verkehr mit Wilden, deren Sprache ich nicht verstand, schon aus der Erfahrung kannte, so lernte ich doch hier zum ersten Mal in Johnson einen Dolmetscher kennen, der mir wenig nützte, von dem ich aber doch abhängig blieb. Selten nur ließ er sich sehen, sodass ich mich meistens von Cordo begleiten ließ. Während er in Manila und an Bord noch einigermaßen als Europäer gelten konnte, hatte er hier in Aibukit gleich wieder das eingeborene Wesen angenommen, er schwatzte unendlich viel, tat wenig und zeigte eine wahrhaft erstaunenswerte Geduld in allen Dingen. Er war von meinen Planen unterrichtet, und wusste dass ich, um arbeiten zu können, notwendig mein eigenes Haus, gebaut nach meiner Anordnung und in der Nähe des Meeres, haben musste. Dennoch aber zögerte er von Tag zu Tage, die Leute zu engagieren, die mir dasselbe bauen und mir einheimische Diener zu verschaffen, die mich auf meinen Fahrten auf die Riffe und bei den Exkursionen im Lande begleiten sollten. Erst ein Zufall musste mir wirklich dazu verhelfen.

Nach Landessitte hatte ich, als ich das Schiff verließ, mein Quartier in jenem großen Haufe (bai) aufgeschlagen, welches meinem mich unter seinen speziellen Schutz nehmenden Freunde Krei und seinen fürstlichen Genossen gehörte. Hier wurde ich, solange ich im Dorfe blieb, von ihm und seinem Clöbbergöll in liebenswürdigster Weise bewirtet, freilich war es da nicht sehr unterhaltend; die Rupacks schliefen fast immer und brachten den größten Teil des Tags mit Nichtstun zu, und ihr Haus durfte nach Landessitte nur von ihnen selbst, aber von keinem den beiden andern Klassen angehörenden Manne betreten werden. So waren die einzigen Wesen, mit denen ich einige schüchterne Unterhaltungsversuche machen konnte, einige junge Mädchen – Phrynen (Liebesdienerinnen) –, welche dort mit den Fürsten ein fröhliches und freies Leben führten. Über ihre sonderbare, gesellschaftlich in ganz strenge Formen gezwängte Lebensweise sollte ich erst später genaue Auskunft erhalten. Sie bekamen häufig von ihren gleichaltrigen Freundinnen aus den Bais anderer Clöbbergölls Besuche, und da sie gesprächiger waren als die ältern Rupacks und sich offenbar eine Freude daraus machten, mich in ihrer Sprache zu unterrichten, so hatte ich schon nach einigen Tagen die wenigen Worte gesammelt, die bei dem einfachen Bau der dortigen Sprache genügten, um Fragen an die Leute richten zu können. Dann ging ich oft auf meinen Spaziergängen in die verschiedenen Häuser, die alle voneinander durch niederes Gestrüpp, Betelpalmen, Kokospalmen und Bananen getrennt, am Abhange des Bergzugs zerstreut lagen, und deren Eigentümer sehr erfreut waren, wenn ich ihnen einen Besuch abstattete. Sie setzten mir ausnahmslos ein süßes Getränk (eilaut) vor, das sie durch rasches Eindampfen aus dem Safte der Palmenblüte gewannen, welcher gegoren den bei allen rein malaiischen Völkern so beliebten Palmenwein liefert. Auf diesen Inseln jedoch wird das Gären absichtlich vermieden; und ebenso wenig bereiten sie hier die Kawa, die sonst auf den Inseln des Stillen Ozeans eine so große Rolle spielt. Mitunter besuchte ich auch Mad in seinem Hause. Hier fiel mir eines Tags ein junger Mann, Namens Arakalulk, gleich seines offenen Wesens und seines intelligenten Auges wegen auf. Wir mussten beide gegenseitig aneinander Gefallen gefunden haben, denn am nächsten Tage kam er mich in der Abwesenheit der Rupacks zu besuchen und mir – wie ich glaubte – seine Dienste anzubieten. Cordo, der zufällig vorüberging, machte den Dolmetscher, und so wurden wir, ohne dass Johnson ein Wort davon erfahren hatte, handelseinig.

Bau eines eigenen Hauses für mich

Arakalulk versprach mir, Leute zu suchen, um mir das Haus bauen zu helfen und nachher als Diener, wie ich wähnte, gegen eine angemessene Bezahlung bei mir bleiben zu wollen. Als ich dann später dies Johnson mitteilte, wurde er böse und meinte, ich hätte ihm mehr Vertrauen zeigen sollen; er sei gerade gekommen, mir anzuzeigen, dass auch er einen Diener, Namens Asmaldra, für mich engagiert und auch bereits mit einem Clöbbergöll unterhandelt habe wegen des möglichst billigen Baues meines Hauses. Eine große Schwierigkeit sei freilich dabei zu überwinden, es gelte nämlich den Widerwillen der Leute gegen den Bau eines Wohnhauses, welches nicht im einheimischen Stil aufgeführt werden solle, zu besiegen; es dürfte dies leicht zu einigen Streitigkeiten Anlass geben und würde jedenfalls den Bau sehr verteuern. Ich erklärte mich mit allen seinen Bemerkungen einverstanden und bat ihn nur etwas mehr Feuer in die Leute zu bringen, damit ich doch endlich einmal die Arbeiten beginnen könne, um derentwillen ich hergekommen sei; und ich sei gern bereit, neben Arakalulk auch noch Asmaldra in meinen Dienst zu nehmen.

Endlich am siebenten Tage nach unserer Ankunft sollte der Hausbau beginnen, dessen Leitung Johnson und Arakalulk übernommen hatten. Ich hatte mir in der Nähe von Auru hart am Meere und gegen den östlichen Wind durch eine steil ansteigende Trachytklippe geschützt einen Platz ausgesucht, welcher Krei gehörte und den ich ihm mit etwas Reis abkaufte. Der Platz hieß Tabatteldil, und im offiziellen Leben, z. B. bei den fürstlichen Festen, wurde ich nun nicht mehr Doktor – wie sie mich sonst immer anredeten, sondern „Era Tabatteldil“ genannt, „der Herr von und auf Tabatteldil“. Die Leute fingen wirklich, wie sie versprochen hatten, am 1. April – ich dachte nicht an das böse Omen – zu bauen an. Natürlich wurde das Haus nur in leichtester Weise konstruiert. In der Mitte sollte sich die Empfangshalle befinden, an der einen Seite mein Schlafzimmer, an der andern mein Arbeitsraum, der mir zugleich zum vorläufigen Aufbewahren meiner Sammlungen dienen musste. Nur in den Ecken der Zimmer standen fest im Boden eingegraben, stärkere Pfähle, der schwankende, 3 Fuß über der Erde befindliche Fußboden aus Bambusgeflecht wurde durch kleine Stützpfeiler verstärkt, und auch die Wände des Hauses und der Zimmer, die Tische und mein etwas erhöhtes Bett wurden aus gespaltenen Bambusleisten geflochten. Das Dach selbst, mit Pandanussblättern nach einheimischer Sitte gedeckt, erhob sich in Giebelform auf den etwa 7 Fuß hohen Wänden. in welchen mehrere mit einer Klappe verschließbare Fenster angebracht wurden in der richtigen Höhe für den einzigen Tisch, den ich mir aus Manila zu meinen zootomischen Arbeiten mitgebracht hatte. Eine kleine vom Hause etwas entfernt stehende Hütte war die Küche, in welcher Alejandro sein Wesen treiben sollte.

Das war nun freilich ein ganz anderes Haus, als je zuvor meine neuen Freunde hatten bauen müssen. Ihre gewöhnlichen Familienwohnungen – in denen sich jedoch nachts immer nur die Weiber und kleinsten Kinder befanden – waren auf niedrigen Steinen angebracht, sodass der aus Bambus geflochtene Fußboden sich kaum einen halben Fuß über die Erde erhob; viereckig, etwa 25 bis 40 Fuß lang bei 12 bis 14 Fuß Tiefe, ohne irgendeine Abteilung im Innern, worin sich auch die ganz im Fußboden angebrachte Feuerstelle befand; mit höchstens 4 Fuß hohen geflochtenen Wänden, in welchen Öffnungen von gleicher Höhe als Türen und Fenster zugleich dienen mussten; mit sehr hohem, spitzem und an den beiden schmalen Seiten des Hauses stark nach oben überhängendem Giebeldach, dessen Firste der Längsrichtung des Hauses parallel lief – so boten mir ihre einheimischen Wohnungen weder genügende Höhe zum Aufstellen eines Tisches noch hinreichendes Licht zum Mikroskopieren. Auch der Rauch, welcher von Manneshöhe an beginnend das ganze Dach inwendig geschwärzt hatte, würde mir ein großes Hindernis für meine Arbeiten geworden sein. Da ich sicher auf 3 bis 4 Monate Aufenthalt an diesem Orte rechnen konnte, infolge des auszubessernden Lecks am Schiffe –, so musste ich vor allem mir ein Haus nach meiner Bequemlichkeit zu bauen versuchen. Im Anfange waren die Leute – etwa 40 an der Zahl – sehr eifrig, da das Ungewohnte der Arbeit sie ergötzte; aber bald wurden sie lässig. Zwar benahmen sie sich während des Baues insofern liebenswürdig, als sie, ohne große Schwierigkeiten zu machen, meinen Hausplan ausführten; aber sie taten dies in so eilfertiger und oberflächlicher Weise, dass ich gezwungen war, die Leute gleich am Tage meines Einzugs – am 10. April – neu zu verpflichten, um alle die notwendigen Verbesserungen vornehmen zu lassen. Nun waren sie womöglich noch unachtsamer, folgten meinen Anordnungen nicht, behaupteten sie bauten ihre eigenen Häuser auch so und die hielten ganz gut; wenn auch das Dach zunächst ein wenig den Regen durchlassen würde, so müsse sich das bald geben – kurz, sie taten, was sie wollten. Am dritten Tage nachher verlor ich endlich die Geduld, ich riss eigenhändig, unterstützt von Alejandro einen Teil des Daches ein, das sie nicht nach meinen Angaben hatten reparieren wollen. Dies und die Äußerung, dass ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollte, jagte sie alle aus dem Hause, und als ich nun mit den zwei von mir angenommenen Dienern selbst Hand anlegen wollte, verweigerten diese ihre Hilfe. Sie gaben vor, es würde ihnen, wenn sie es zu tun wagten, vom Clöbbergöll all ihr Geld genommen und ihre Häuser in Brand gesteckt werden, da er ein Veto auf die Vollendung des Hauses gelegt habe. Nun war guter Rat teuer; denn das Dach so wenig wie die Wände des Hauses hielten dicht. Johnson, der wohl in Auru schon davon gehört haben mochte, kam dann, schwatzte ganz entsetzlich viel, brachte aber auch am nächsten Tage nichts in Ordnung; und als ich nun selbständig auftretend nach 1½tägigem Unterhandeln den Clöbbergöll durch das Versprechen einer Flinte bewog, die Fortführung des Baues zu übernehmen – da sagte mir Johnson fast beleidigt scheinend, er hätte dies auch wohl ohne die Aufopferung meiner Flinte zu Stande bringen können. Zwei Tage später hatte ich dann das Haus wenigstens notdürftig bewohnbar, obgleich die beständig notwendigen Ausbesserungsarbeiten meine Diener und oft auch mich selbst bis zum 25. April in Arbeit erhielten.

Dabei war mein Haus beständig voll von Besuchern, und da dies meistens Rupacks von fremden Ortschaften waren, die in Begleitung von Krei oder Mad kamen, um sich den ein so wunderbares Haus bauenden Era Tabatteldil anzusehen, so verlor ich fast meine ganze Zeit. Ich hatte, solange ich im Dorfe lebte, natürlich alle Tage in der Unterhaltung mit ihnen zugebracht, nach einheimischer Sitte essend, plaudernd und schlafend; und die guten Leute glaubten ohne Zweifel dass ich in meinem Hause ein gleiches Leben fortführen würde. Zuerst hatte ich meine Pflichten als Wirt durchaus getreu geübt; aber ich argwöhnte bald, dass gar manche dieser Rupacks so oft kamen, weil ihnen mein Reis und Wein und Zigarren gar so gut schmeckten. Namentlich Mad schien meinen Wein sehr zu lieben, sodass ich besorgte, er möge nicht lange genug aushalten. Ich maß ihm deshalb bald die Rationen etwas kärglicher zu; und da ich zugleich auch gegen die andern Rupacks, namentlich gegen die fremden, etwas förmlicher und weniger freigebig mit Geschenken wurde, so nahmen allmählich die vornehmen Besuche etwas ab, sodass ich endlich am 27. April hinreichende Ruhe in meinem Hause hatte, um meine Arbeiten beginnen zu können.

Beginn meiner Forschungsarbeiten

Auch sonst waren die Verhältnisse günstiger geworden für die zoologischen Untersuchungen, die ich nun in Angriff nahm. Alejandro besorgte mit Hilfe einiger junger Männer und Mädchen, die allmählich die Zahl der Hausbewohner vermehrt hatten, den Hausstand, behielt aber Zeit genug übrig, Exkursionen auf die östlichen Riffe zu machen, während ich selbst mit Arakalulk und Asmaldra die Riffe der Westküste nach Tieren absuchte. Meine Dysenterie (Die Dysenterie ist eine Entzündung des Darms, die oft zu starker Diarrhö, Magenschmerzen und Erbrechen führt.) hatte mich ganz verlassen, sodass ich selbst größere Exkursionen zu Fuß in die befreundeten Nachbardörfer unternehmen konnte; aber ich ließ mich zu ihnen weniger durch die Tiere als durch die Menschen bestimmen. die ich in allen ihren Eigenheiten genau kennen lernen wollte. Unter diesem leichtlebigen Volke sollte es an Gelegenheiten dazu nicht fehlen; denn wenn die katholischen Christen der Philippinen in Bezug auf die Auffindung von allerlei Vorwänden zu öffentlichen Festen noch hätten lernen können, so wäre sicherlich hier dazu Gelegenheit gewesen. Einige kleinere Festlichkeiten in Aibukit selbst hatte ich verabsäumt; als ich aber Nachricht erhielt, dass am 24. April ein großes Weiberfest in Aural an der Ostküste abgehalten werden sollte, entschloss ich mich um so leichter, dasselbe zu besuchen als ich sonst den ganzen Tag hätte allein zubringen müssen. Tage vorher sprachen meine Hausgenossen von nichts anderem als von dem bevorstehenden Feste; und sie kündigten mir an, dass sie dasselbe unbedingt besuchen müssten. So ging ich denn, begleitet von Asmaldra, den ich hauptsächlich dadurch an mich fesselte, dass ich ihm gestattete, mit meiner Doppelflinte auf die Entenjagd zu gehen, zuerst über den Steindamm ans nördliche Ufer der Bucht, dann in nordöstlicher Richtung über die trachytischen Hügel (vulkanisches Gestein), welche das Becken von Aibukit nördlich begrenzen und auf deren Südabhange das obenerwähnte halb zerstörte Dorf Eijül lag. Von ihrer Höhe, die frei von Waldung war, hatte ich einen reizenden Blick auf den halbkreisförmigen Kessel von Aibukit, in welchen sich die Hügel ganz allmählich absenkten, während sie am östlichen Ufer steil in das Meer abfielen. Hier schien kaum Raum genug für die Ortschaften zu sein. Auch traten die Riffe mit ihrer weißen Schaumlinie weit näher an das Ufer heran, sodass sich zwischen ihnen und dem Lande, von dem sie höchstens einige tausend Schritt entfernt sind, nur ein Bootkanal hatte bilden können; während sich zwischen den Riffen der westlichen Seite ein Haupt- und viele Nebenkanäle durchzogen, die mitunter die ansehnliche Tiefe von 40 bis 50 Faden erreichten. Ein etwa einstündiger Marsch brachte uns am Morgen nach Aural, wo wir uns trennten – Asmaldra, um für unser Mittagessen Enten zu schießen, ich um Insekten zu sammeln. Die Jahreszeit war offenbar sehr ungünstig, denn ich fing nur sehr wenige und meist verstümmelte Schmetterlinge.

Am Nachmittag begann dann der Tanz, welcher das nun schon seit drei Tagen anhaltende Volksfest beschließen sollte.  Auch in diesem Dorfe lagen die Häuser weit voneinander getrennt, wie in Aibukit mitten im Walde der Kokospalmen und umgeben von Nutzpflanzen sowohl wie Ziersträuchern, welche die Bewohner mit Vorliebe kultivierten. Der Platz, auf welchem das Fest gefeiert wurde, befand sich mitten im Dorfe, aber ebenfalls rings umgeben von Gebüsch, sodass man nur an wenigen Stellen einen Blick auf andere Häuser erhielt, dort nämlich, wo die gepflasterten Wege mitunter gerade auf ein solches zuliefen. Auf der einen Seite des nicht sehr großen, beinahe quadratischen Raumes war eine aus Baumstämmen roh gezimmerte etwa 3 Fuß hohe Plattform aufgerichtet, während auf den drei andern Seiten eine Menge kleiner, ganz offener Hütten gebaut worden waren, in welchen die zum Besuch von nah und fern gekommenen Freunde des Dorfs lebten, solange das Fest dauerte. Manche von ihnen waren mit allen ihren Kindern und vollständiger Hauseinrichtung gekommen, und es wurden hier offenbar die Gäste nicht, wie bei andern Festen vom Dorfe selbst eingeladen oder bewirtet. In jeder Hütte hatten sich meistens zwei bis drei Familien niedergelassen, sodass das Innere derselben ganz von den vielen Weibern und Kindern, ihren Siebensachen und Lebensmitteln angefüllt war. Ihre großen eisernen Kochschalen, welche ihnen sonst zur Zubereitung des Trepang dienen mussten – Schalen von etwa 3 Fuß Durchmesser – waren nun angefüllt mit Fischen oder ihrem Nationalgerichte dem „kukau“, und standen auf Feuerstellen, welche vor den Häusern auf dem freien Platze angebracht waren. Es vertritt die außerordentlich mehlreiche Wurzel des Arum esculentum hier wie auf allen Inseln des Stillen Ozeans den Reis bei den Malaien, und Fische und Muscheln, Kokosnüsse und Früchte der Bananen bilden nur die luxuriöse Zugabe und Würze ihres für gewöhnlich äußerst einfachen Mittagsmahles.

Bei solchen Festen jedoch sucht auch hier jede Hausfrau die andere durch die Mannigfaltigkeit ihrer Gerichte zu übertreffen, die sie ungleich den heidnischen sowohl wie christlichen Malaien der Philippinen in ihren mit rotem Lack (Ein eigentlicher Lack ist es nicht, womit sie ihre Schüsseln färben. Sie reiben nämlich die rote stark eisenhaltige Lehmerde so fein als möglich an mit Kokosnussöl und tragen die Mischung in möglichst feinen Lagen zu wiederholten malen hintereinander auf. Jedes Mal wird nach dem Trocknen die Lackschicht durch glatte Steine fest in das Holz eingerieben und poliert, dann eine neue aufgetragen, wieder poliert usw. Der rote Überzug verbindet sich dabei so fest mit dem Holze, dass kochendes Wasser ihn nicht abzulösen vermag.) überzogenen Schüsseln auch gefällig für das Auge und mit Blumen verziert an zurichten lieben. Von morgens früh bis zum Abend stiegen beständig die allerdings nicht immer süß duftenden Rauchwolken nach oben – denn gegen den Geruch faulender Fische schienen jene Leute nicht eben sehr empfindlich zu sein. Hier saßen im Hause ein paar junge Mädchen, beschäftigt, das Fleisch der eben geöffneten Kokosnuss zu schaben oder den Kukau zu stampfen, der zum Anfertigen der verschiedensten Kuchen dienen sollte; andere schürten das Feuer oder verteilten die fertigen Gerichte in den sauber abgewaschenen Schüsseln. Beständig gingen junge Männer, die wohl der niedrigsten Klasse angehören mochten, hin und her, Körbe mit Kukau oder Kokosnüssen auf dem Kopfe, oder Fische und andere essbare Seetiere bringend; und mit ihren schönen hochgelben, oft schwarz geränderten Schürzen liefen junge Mädchen von Hütte zu Hütte, eine Schüssel mit einem feinen Gericht oder eine Trinkschale voll besonders süßen Getränkes (des sogenannten eilaut) als Freundesgruß ihrer Älteren anbietend. Die vornehmern Männer freilich – die Rupacks und die älteren Leute saßen rauchend und schwatzend in Gruppen auf dem Platze zusammen oder sie lagen schlafend in ihren Hütten.

Diesem Treiben, das ich mit wahrer Freude betrachtete, machte endlich das rasch sich fortpflanzende Gerücht ein Ende, dass nun der Glanzpunkt des ganzen Festes gekommen sei. Gleich legte jede der Frauen ihre Arbeit nieder, die schlafenden Männer erwachten, und alle gruppierten sich so, wie es die einheimische Sitte vorschrieb, – die Frauen und Mädchen zusammen in vorderster Reihe, dahinter die Männer – um mit Ungeduld den Zug zu erwarten, von dessen pompöser Ausstaffierung schon vorher allerlei Gerüchte gegangen waren und der sich nun aus der Ferne mit einigen Flintenschüssen und einem wüsten Geschrei ankündigte. Von der einen Seite her kam, die nackten Oberkörper und die Beine über und über mit Rot bemalt, ein Haufe Weiber, welche mit wütenden Gebärden. Lanzen in den Händen schwingend, sich einem kleinern Haufen näherten, der in gleichem Schmuck und auch bewaffnet, von der entgegen gesetzten Seite heran schritt. Bis auf drei oder vier Schritte Entfernung traten sie sich entgegen, als wollten sie einen Kampf beginnen; dann aber hielten beide Parteien an, gruppierten sich zu mehreren Reihen und begannen nun unisono einen sehr einförmigen, aber doch nicht unmelodischen Gesang. Seit langen Jahren hörte ich hier wieder zum ersten male einen aus voller Brust kommenden Ton. Dabei bewegten sie sich nicht von der Stelle, aber indem sie alle in genau abgemessenem Rhythmus die Hüften in eine eigentümlich wiegende Bewegung versetzten, brachten sie durch das Aneinanderschlagen ihrer Blätterkleider ein lautes Rauschen hervor, welches ihren Gesang streng abgemessen begleitete. Mit einem lauten Aufschrei endigte die Pantomime, welche, wie man mir sagte, eine Szene aus dem jüngsten Kriege darstellen sollte.

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